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Die Reiter der Apokalypse

Geschichte des Dreißigjährigen Krieges

AutorGeorg Schmidt
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl813 Seiten
ISBN9783406723391
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM/Wasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Mit dem berühmten Prager Fenstersturz im Mai 1618 begann ein gewaltiger Krieg, der Millionen Menschenleben fordern und drei Jahrzehnte andauern sollte. Bis heute ist diese beispiellose historische Katastrophe von Mythen überwuchert. Georg Schmidt, einer der großen Kenner der Epoche, legt aus Anlass des 400. Jahrestages eine Gesamtdarstellung des Dreißigjährigen Krieges auf dem neuesten Stand der Forschung vor. 'Die Reiter der Apokalypse' - das waren Krieg, Hunger und Seuchen, die einen millionenfachen Tod brachten und weite Teile Mitteleuropas verwüsteten. In seiner großen Geschichte des Dreißigjährigen Krieges verknüpft Georg Schmidt souverän das politische und militärische Geschehen mit Tagebuchaufzeichnungen, Predigten und anderen zeitgenössischen Quellen, die beklemmend anschaulich zeigen, wie der Krieg erfahren und durchlitten wurde: als Strafe Gottes, als Kampf um die deutsche Freiheit, als blutiger Weg zu einem neuen Frieden. So ist ein grandioses Panorama entstanden, das zugleich das Geschehen historisch deutet und einordnet: in das große religiöse Ringen von Reformation und Gegenreformation, den Machtkampf zwischen der Habsburgermonarchie und den Reichsständen, die Ziele der Nachbarstaaten und die undurchsichtigen Ränkespiele eines Wallenstein.

<p>Georg Schmidt ist Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Jena und einer der angesehensten Experten für die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Sein Wissen-Band zum Thema hat acht Auflagen erlebt. Bei C.H.Beck sind außerdem erschienen: Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert (2009) und Geschichte des alten Reiches (1999).</p>

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Leseprobe

1. Ungewissheiten oder warum die Freiheit ängstigte


Die humanistische Öffnung


Im 14. Jahrhundert entdeckten Francesco Petrarca und die Humanisten die antiken Texte neu. Sie waren begeistert, weil diese, anders als die christliche Überlieferung, den einzelnen Menschen mit seinen Sorgen und Nöten ins Zentrum rückten und die vollständige Entfaltung seiner Anlagen propagierten. Es schien sich zu lohnen, die alten Sprachen und Kulturen, ihre Werte und Sitten in Form einer Renaissance, einer Wiedergeburt, verfügbar zu machen und zu neuem Leben zu erwecken. Die Sorge galt der Natur und der Würde des unvollkommenen Menschen,[1] dem Gott jedoch die Gabe und die Freiheit verliehen hatte, sich selbst zu formen und zu verbessern. Die Humanisten kämpften für ein ideales Menschentum nach klassisch-antikem Vorbild und gegen die geistige Bevormundung durch die Kirche und ihre allein auf das Jenseits gerichtete Botschaft. In heidnischen Schriften fand sich ihres Erachtens ebenfalls die eine göttliche Wahrheit. Sie musste ergänzend herangezogen werden, um dem Wesen und den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden.

Die Humanisten wollten die Menschen nicht nur gelehrter, sondern auch sittlich und moralisch besser machen.[2] Ihnen schien das während des Mittelalters verlorene Wissen der Griechen und Römer unverzichtbar zu sein, zumal es den wichtigen Gedanken in die Welt zurückbrachte, dass das Individuum für sein Tun und Lassen verantwortlich sei. Die antiken Schriften forderten eigene Aktivität, um die Zukunft und ein künftig besseres Leben selbst zu gestalten. Darüber hinaus erklärten sie das eigene Gewissen zur letzten Reflexions- und Entscheidungsinstanz. Die volle Tragweite dieses geistig-kulturellen Umbruchs wurde zwar erst in der Zeit der Aufklärung deutlich, doch schon vorher lastete die Diskrepanz zwischen der biblischen Heilsordnung und den Zwängen des diesseitigen Lebens schwer auf den Gläubigen. Die Humanisten hatten jedenfalls das Deutungsmonopol der Bibel gebrochen und eine den irdischen Sorgen und Nöten zugewandte Alternative erschlossen. Die antiken Einsichten wurden allerdings zum Problem, wenn sie mit den offenbarten göttlichen Vorgaben kollidierten.

Aus Sicht der Humanisten war der Mensch durch Erziehung und Bildung in jede Richtung entwicklungsfähig und sollte über seine Kräfte und seinen Willen frei verfügen. Dieser Säkularisierungsschub weckte an den Höfen und in reichen bürgerlichen Milieus ein zuvor unbekanntes diesseitiges Lebensgefühl. Für religiöse Eiferer und den gemeinen Mann war vieles von dem, was er aus den elitären Milieus hörte, schlicht und einfach Sünde. Gott werde die Betreffenden strafen. Das der Verfügungsgewalt der Kirche entwundene, humanistisch justierte Wissen ermöglichte fatale Irrwege wie Hexenglauben, esoterische Geheimlehren oder ein lasterhaftes Leben. Es führte aber auch zu den Entdeckungen bisher unbekannter Naturgesetze und Gebiete der Erde, und es brachte Europa an die Spitze aller Kontinente. Die effektive Nutzung des Schießpulvers, die technischen Verbesserungen der Waffen und Befestigungsanlagen sowie die Kenntnis antiker Taktiken und Strategien ermöglichten darüber hinaus auch die gewaltige Kriegsfurie, die Deutschland im 17. Jahrhundert heimsuchte.

Die scheinbar statische Welt des Mittelalters war freilich schon vor dem Auftreten der Humanisten in Bewegung geraten. Thomas von Aquin hatte den Menschen, um ihre Sünden zu bändigen, eine von Gott gewollte Gemeinschaftsordnung zugebilligt.[3] Marsilius von Padua lehnte den Vorrang der geistlichen Gewalt vor einer weltlich-bürgerlichen Friedensordnung ab, die über das «Mittel zwingender Gewaltsamkeit» verfügte.[4] Das Volk gebe sich seine Gesetze und Herrscher selbst und benötige weder eine göttliche noch eine naturrechtliche Autorität. Marsilius deutete zudem an, dass der Mensch für sich, seine Welt und den Frieden selbst verantwortlich sein könne. Das römische Kaiserreich war für ihn die politische Form, in der die gottgewollte, vom Papst nur vollzogene Herrschaftsübertragung (translatio imperii) an die Franken und danach an die Deutschen stattgefunden habe, um bis zur Endzeit fortzubestehen. Das Heilige Römische Reich verkörperte demnach die letzte Ordnung dieser Welt.

Die von der Renaissance geleiteten Menschen stießen soziokulturell in neue Dimensionen vor. Die humanistische Fokussierung auf den Menschen ermöglichte jedoch auch einen von allen christlichen Schranken befreiten Egoismus. Dieser entfaltete unter dem Deckmantel von Fortschritt, Gemeinwohl oder Staatsräson sein ordnungspolitisches Potential, aber auch seine zerstörerische Kraft. Humanisten waren Berater von Republiken, Monarchen und Despoten.[5] An Höfen und in den Ämtern des werdenden Staates konkurrierten sie mit der adligen Elite. Die über die lateinische Sprache vermittelte Deutungskultur stellte Verschiedenes nebeneinander und verknüpfte rhetorisch sich Widersprechendes. Dies erschien der humanistischen Avantgarde als zukunftsträchtiges entwicklungsoffenes Konzept. Die Gegenwart war nicht mehr ein bloßes Durchgangsstadium auf dem Weg zum Jüngsten Gericht, sondern die gestaltbare Folge unterschiedlicher Traditionen.[6] Dieser Gewinn an innerweltlicher Zukunft wies sowohl den Weg in den Dreißigjährigen Krieg als auch aus ihm heraus.

Es waren Humanisten, die im 15. Jahrhundert kommunale und nationale Traditionen in identitätsstiftender Absicht erfanden und so die politische und kulturelle Differenzierung Staateneuropas beschleunigten.[7] Dazu griffen sie auf antike Völker- und Stammesbezeichnungen – Germanen, Bataver, Gallier, Sarmaten, Britannier etc. – zurück, um auf dieser Basis Traditions-, Erinnerungs- und Erfahrungsgemeinschaften zu konstruieren. Die Sprachen, Gründungslegenden und Mythen sorgten ebenso wie homogenisierende Tugenden, Rechte und Pflichten für ethnisch-kulturelle und politisch-organisatorische Zuordnungen. Die universale, durch Papst und Kaiser repräsentierte Ordnung wurde von staatlich-nationalen Einheiten abgelöst, die im Zusammenspiel mit den neuen Konfessionen und der alten Ständeordnung jedem seinen Platz zuwiesen. Die Nationen versprachen als Vaterländer emotionale Geborgenheit in einer unübersichtlich und vielgestaltig gewordenen Welt. Der «Wettkampf der Nationen»[8], ihrer Gelehrten, Baumeister und Dichter, ihrer Kulturen und ihrer Machtpotentiale, begann im späten Mittelalter. Die im Idealfall friedliche Rivalität, die Fortschritt generierte, mündete häufig in Kriege, weil die politischen Akteure dort keine tragfähigen Kompromisse fanden, wo das herrschaftliche oder staatliche Gewaltmonopol versagte.

Erasmus von Rotterdam, der führende Humanist nördlich der Alpen, war um 1466 als illegitimer Sohn eines Geistlichen geboren worden. Er wurde bei den Brüdern vom gemeinsamen Leben im Geist der Erneuerungsbewegung Devotio moderna erzogen, einer Synthese aus christlichem und antikem Denken. Sein Ideal war eine harmonische und friedliche Gesellschaft. Seine Schriften richteten sich gegen kirchliche und machtpolitische Fehlentwicklungen. Erasmus war 1515 zum Erzieher und Ratgeber des späteren Kaisers Karl V. ernannt worden. Er wollte sich mit den ständigen Kriegen nicht abfinden und die Menschen, die aus seiner Sicht über einen freien Willen verfügten, vom Aberglauben, von sinnlosen Ritualen und von barbarischen Handlungsweisen befreien. Trotz seiner Kritik an der Kirche, mit der er auch der Reformation den Weg bahnte, betonte er die christliche Heilslehre als Voraussetzung sittlichen Handelns. Als Christ lehnte Erasmus Kriege prinzipiell ab, insbesondere jedoch solche aus religiösen Motiven. Sähen Christen sich durch ihren Glauben gezwungen, Argumente für den Krieg zu sammeln, der dem menschlichen Wesen widerspreche, führe dies zu Entartungen und vernichte die ihnen eigene Freiheit. Kriege brächten keine Lösungen, sondern förderten lediglich Gewalt und Unterdrückung.[9]

Der Heilige Krieg, die Verbreitung der christlichen Erlösungsbotschaft durch Gewalt, erschien Erasmus als absurd. In seiner Friedensklage Querela Pacis[10] bezweifelte er die Lehre vom gerechten Krieg und forderte die Kirchenvertreter auf, Gewalt abzulehnen und nur den Frieden zu preisen. Während die christliche Lehre vom gerechten Krieg die in der Bibel genannten...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch813
Über den Autor813
Impressum4
Inhalt5
Prolog11
Eine Geschichte11
Ein Komet14
Die Reiter der Apokalypse18
Die Erzählung20
I. Spuren27
1. Ungewissheiten oder warum die Freiheit ängstigte29
Die humanistische Öffnung29
Der reformatorische Umbruch35
Freiheit und Vaterland44
Deutsche Freiheit51
Türkenangst58
2. Verhärtungen oder wie die Menschen Gott vereinnahmten64
Die Konfessionalisierung64
Der niederländische Freiheitskampf74
Die französischen Bürgerkriege82
Die kleine Eiszeit87
Wachsende Ungleichheit93
Der Hexenwahn99
Der prekäre Religionsfrieden103
3. Krise oder wie Krieg zur Option wurde108
Der Reichs-Staat108
Union und Liga113
Der habsburgische Bruderzwist119
Konfrontation und Kompositionspolitik123
Meinungen und Inszenierungen130
Friedensappelle139
Das europäische Staatengefüge143
II. Dreissig Jahre153
4. Böhmen oder wie ein regionaler Konflikt eskalierte157
Die Tat157
Das Zeichen167
Krieg in Böhmen173
Zwei Wahlen178
Weichenstellungen186
Die Schlacht195
Kipper und Wipper203
5. An den Rhein und nach Norden oder warum der Krieg immer neue Gebiete erfasste210
Grenzüberschreitungen210
Das Ende der Kurpfalz218
Eine instabile Ordnung228
Vorstoß nach Norden236
Die dänische Intervention244
6. Wallenstein oder wie der Krieg funktionierte250
Der Aufstieg250
Keplers Horoskope255
Friedlands Wohlstand259
Kriegskredite261
Söldner266
Militärgesellschaft276
Waffen282
7. Das Meer oder wie imperiale Visionen scheiterten285
Siegeszug285
Widerstand292
Dänische Niederlage299
Friedenswunsch und Kriegsziele304
Der Lübecker Friede313
Europäische Kriegsschauplätze321
Das Restitutionsedikt326
Entlassung335
8. Werkzeug Gottes oder wie Gustav Adolf die Phantasie beflügelte343
Motive343
Aufladung350
Der Leipziger Konvent356
Magdeburg361
Breitenfeld370
Pfaffengasse381
9. Schicksal oder wie der Krieg seinen Helden verlor390
Die Rückberufung390
München393
Gräueltaten400
Vor Nürnberg410
Lützen415
Werkzeug Gottes420
10. Verwirrspiele oder warum Wallenstein sterben musste429
Der Heilbronner Bund429
Irrungen und Wirrungen433
Ein präventiver Mord441
Ein Kriegsjahr453
Nördlingen459
11. Der Prager Frieden oder warum der Krieg weiterging467
Die Prager Koalition467
Nationale Begeisterung477
Das Ende einer Illusion482
Schwedischer Behauptungswille488
Ein neuer Kaiser495
Alternative Friedenspläne502
12. Uneinsichtigkeiten oder warum sich das Leiden verlängerte506
Herzog Bernhards Krieg506
In Deutschlands Mitte519
Der Reichstag524
Schwedische Siege527
Vor dem Friedenskongress533
Der dänisch-schwedische Krieg536
Die Schweden vor Wien539
III. Der Frieden547
13. Arrangements oder was zu regeln war549
Die Ziele549
Die Kongressorte558
Die Delegierten562
Das Zeremoniell566
Grundprobleme569
Entschädigungen577
14. Der Vertrag oder warum es so lange dauerte585
Der Hessenkrieg585
Religionsfragen589
Nebeneinander596
Letzte Gefechte605
Verständigungen607
Das Reichsgrundgesetz610
Der Exekutionstag617
15. Bilanzen oder wie der Krieg bewältigt wurde620
Opfer620
Landwirtschaft623
Gewerbe, Handel und Geld628
Fürstenstaaten und Reichs-Staat634
Deutsche Nation643
Schule und Wissenschaft646
Architektur und Kunst649
Literatur und Musik654
Konfessionsfragen658
Friedensfeiern661
Epilog672
Gedächtnis672
Urkatastrophe676
Trauma681
Mythos684
Fazit687
Dank699
Anmerkungen700
Literaturverzeichnis768
Abbildungsnachweis799
Personenregister801
Karten811

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