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E-Book

Stumme Medien

Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft

AutorRoberto Simanowski
VerlagMatthes & Seitz Berlin Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783957575913
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Der digitale Wandel der Gesellschaft wird von konzeptlosen Politikern und gewinnorientierten Unternehmern diskussionslos durchgewunken und vorangetrieben. Die gelegentliche Kritik an Fake News, Filterblasen und dem Verlust der Privatsphäre trifft nur die Symptome einer viel grundsätzlicheren Gefahr für das Fortbestehen unserer Demokratie. Auch die Schulen und Universitäten entziehen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, wenn sie nur vermitteln, wie man die neuen Medien sicher nutzen und effektiv in der Forschung einsetzen kann, statt auch die kulturstiftende Funktion des Computers zu betrachten. Roberto Simanowski plädiert in seiner Streitschrift für eine neue Medienbildung, die kritisch operiert statt affirmativ. Nicht allein die Anwendungskompetenz muss im Zentrum der Bildung stehen, sondern die Frage, wie die neuen Medien unser Leben und unsere Weltwahrnehmung ändern.

Roberto Simanowski ist ausgebildeter Lehrer für Deutsch und Geschichte und Professor für Medienwissenschaft an der Pontifícia Universidade Católica do Rio de Janeiro. Seine Forschungsgebiete umfassen Postmodernismus, Multikulturalismus, Ästhetik und digitale Medien. Zuletzt erschienen bei Matthes & Seitz Berlin seine Bücher Data Love (2014), Facebook-Gesellschaft (2016) und Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien (2017).

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Leseprobe

I. Medien und Gesellschaft


Ein Eichhörnchen,
das vor deinem eigenen Haus stirbt,
könnte für dich in diesem Moment
interessanter sein als Menschen,
die in Afrika sterben.

(Mark Zuckerberg, 2010)

Die Botschaft der Medien sind die Medien selbst, postulierte Marshall McLuhan, für viele der Vater der Medienwissenschaft, 1964 in seinem Essay Das Medium ist die Botschaft: »jedes Medium hat die Macht, seine eigenen Postulate dem Ahnungslosen aufzuzwingen«. Inwiefern die Begriffe »ahnungslos« und »aufzwingen« die Situation jeweils korrekt beschreiben, ist von Fall zu Fall zu klären. Doch weder für das Auto noch für das soziale Netzwerk à la Facebook wird man die kulturstiftende Rolle des Mediums bestreiten können: Das Auto hat die Autogesellschaft hervorgebracht, mit all ihren Folgen für den Individualverkehr, die Bildung von Vorstädten und die Verstopfung der Innenstadt. Facebook und andere soziale Netzwerke schaffen wiederum eine Gesellschaft, in der die Kommunikation und ihre Kulturtechniken maßgeblich durch die Formen der Selbstdarstellung in den sozialen Netzwerken und deren Modus der Weltwahrnehmung bestimmt sind: eine Ungedulds- und Immersionsgesellschaft, beschreibbar durch Begriffspaare wie Hyper-Aufmerksamkeit und Multitasking, Big Data und Transparenz, Interaktion und instant gratification, Ranking, Update, Selfie, Like, Jetzt.12

Es ist bemerkenswert, wenngleich kaum erstaunlich, dass die Produzentinnen der neuen Medien sich gelegentlich vehement gegen eine Perspektive des technischen Determinismus wenden. Offenbar liegt es nicht im Interesse eines Technologiekonzerns, seinen Produkten zu viel Macht über die Menschen zu attestieren. Die Annahme, dass die Nutzer für die Folgen dieser Produkte verantwortlich sind, ist jedoch schwer durchzuhalten, wenn die Technik durch ihre Funktionsweise soziale Normen setzt, indem beispielsweise die Anzeige des Empfangs einer Nachricht in Textmessenger-Applikationen (WhatsApp, Threema) auf eine umgehende Antwort drängt. Wer da einwendet, niemand sei gezwungen, einen Textmessenger zu verwenden oder einer Textnachricht sofort zu antworten, verkennt, dass bestimmte technische Möglichkeiten bestimmte gesellschaftliche Praktiken mit sich bringen, die wiederum bestimmte Erwartungen erzeugen. Diese Praktiken und Erwartungen beeinträchtigen schließlich – als durch Technik erzeugtes soziales Postulat – die Willensfreiheit des Menschen im Umgang mit der Technik. Wie eine andere berühmte Aussage aus McLuhans Denkkreis lautet: Erst formen die Menschen ihre Werkzeuge, dann werden sie von diesen geformt.13

Selbstverständlich sind es wiederum Menschen, die das Design der Technik bestimmen: In Technik verfestigt sich das Soziale, in Software entäußern sich kulturelle Wertvorstellungen. Zugleich gilt es zu fragen, wie stark das Soziale auch vom Ökonomischen überlagert wird beziehungsweise dieses die Struktur des Technischen bestimmt. Der blinde Fleck des Technik-Determinismus – auch in seiner gemilderten Form einer Netzwerktheorie mit menschlichen und technischen Akteuren – besteht darin, die Interessen der Technologieanbieter nicht einzurechnen. Der Zusammenhang von Kultur und Technik lässt sich aber nicht ohne Blick auf Ökonomie und Politik verstehen; die Analyse muss immer auch die Frage nach den mehr oder weniger deutlich ausgeprägten wirtschaftlichen und politischen Interessen enthalten, zumal wenn es sich bei den Technologieanbietern, deren Kommunikationstechniken das Soziale verändern, um börsennotierte Privatunternehmen handelt.

Will man nicht zu personalisierten, dualistischen Machttheorien zurückkehren, muss man sich allerdings vor simplen Zuschreibungen von Ursache und Wirkung ebenso hüten wie vor der antagonistischen Reduktion der Beteiligten auf Subjekt- und Objektpositionen. Zum einen liegt der Interessenkonflikt im Individuum selbst, wenn dieses zum Beispiel für besseren Service oder aus Bequemlichkeit freigiebig mit seinen Daten umgeht und dazu beiträgt, immer transparenter (und damit analysier- und kontrollierbarer) zu werden. Zum anderen verläuft die Konfliktlinie zwischen Mensch und Technik. Die Technik folgt einer inneren Logik, die sie mitunter schon im Namen anzeigt: Der Computer (oder: Rechner) will berechnen, das Internet will vernetzen. Diese innere Logik macht den Fokus auf Zahlen (Views, Shares, Likes) und Links zum unvermeidbaren Prinzip der Online-Kommunikation. Es sei dahingestellt, inwiefern dem Medium nicht nur die Macht zuzuschreiben ist, seine eigenen Postulate dem Ahnungslosen aufzudrängen, sondern auch das Ziel, dies zu tun und somit ›bewusst‹ als Gegenspieler des Menschen aufzutreten. In jedem Fall sind die Chancen, sich den Postulaten dieses Gegenspielers zu entziehen, gering einzuschätzen, was jedem klar wird, der eine WhatsApp-Message wie einen Brief behandelt oder auf ein Facebook-Update mit einem ausführlichen Kommentar reagiert. Solche Trotzhandlungen sind zwar möglich, aber sie bestätigen als Ausnahme und durch die Reaktion, die sie erfahren, nur das, was längst die Regel ist.14

Was Facebooks Botschaft betrifft, so lässt sich diese verschiedentlich ausdifferenzieren. In psychologischer Hinsicht delegiert man das, was einem geschieht, per Mitteilung an die Freunde des Netzwerkes und hilft sich so gegenseitig, die innere Leere im Angesicht all der aufregenden Erlebnisse zu kaschieren. Aus erzähltheoretischer Perspektive lässt sich festhalten, dass durch die weniger narrativ reflektierte als spontan episodisch und dokumentarisch vollzogene Selbstdarstellung eine quasi automatische und posthumane Autobiografie entsteht, deren zentrale Erzählinstanz das Netzwerk und der Algorithmus sind. Unter politischem Gesichtpunkt scheint die phatische Kommunikation jenseits politischer und kultureller Differenzen eine Art kosmopolitische Gemeinschaft zu schaffen, zugleich aber die Entwicklung eines kritischen Denkens als Langzeitsicherung gegen neue Formen des Rechthabens zu verhindern.15

Nach Trumps Wahlsieg konnten sich alle auf eine Botschaft Facebooks einigen: die Falschmeldung. Vertieft man die Problembetrachtung medientheoretisch, erweisen sich die konkreten Falschmeldungen jedoch als der Inhalt, der nicht von der Botschaft ablenken darf: von der Filterblase, in die Facebook seine Nutzer drängt. Denn das Phänomen der Falschmeldung lässt sich nicht ohne Blick auf Facebooks Funktionslogik verstehen. Eine Medienbildung, die über die Feststellung des Offensichtlichen hinausgehen will, zielt auf die Analyse dieser Logik sowie ihrer ökonomischen Gründe und sozialen Folgen. Im Ergebnis führt dies zur Einsicht, dass Facebook nicht nur der Ort ist, an dem Falschmeldungen präsentiert werden, sondern auch der Ort, der das Interesse für diese maßgeblich produziert.

1. Das Ende der Experten


Sobald der neue Präsident der USA feststand, wurde Facebook vorgeworfen, Trump-Anhängern eine Plattform geboten und Falschmeldungen in dessen Interesse verbreitet zu haben. Damit verkannte man zutiefst das zentrale Kennzeichen sozialer Netzwerke wie Facebook: Sie produzieren nicht bestimmte Nachrichten, sondern verbinden Menschen jeglicher Art, die alle möglichen Nachrichten untereinander austauschen. Nicht ein Medienunternehmen, sondern eine Technikplattform zu sein, gehört zum immer wieder betonten Selbstverständnis Facebooks. Angesichts der Tatsache, dass Facebook faktisch die größte Zeitung der Welt ist, geriet Zuckerberg nach Trumps Wahlsieg trotzdem und zu Recht unter Erklärungsdruck, zumal dieser sich auch noch bei Facebook und Twitter für die Unterstützung bedankte.16

Zuckerbergs Argument, nur ein Prozent aller Meldungen, die Nutzer auf Facebook sehen, seien »fake news« und »hoaxes«, überzeugte – selbst wenn die Zahl richtig sein sollte – freilich schon Ende 2016 kaum, wenn man all die unpolitischen Meldungen, Katzen- und Babyfotos, Selfies und Foodies, abzieht und in Rechnung stellt, dass die Falschmeldungen zum Wahlthema in der Endphase deutlich mehr Reaktionen auf Facebook auslösten als die Meldungen seriöser Medienunternehmen wie New York Times oder NBC News. Berechtigter ist der Einwand, es sei kompliziert, die Wahrheit zu identifizieren und Löschbefehle zu erteilen, da es zum einen viele Beiträge gebe – auch aus dem Mainstream, wie Zuckerberg nicht anzumerken versäumte –, die insgesamt der Wahrheit entsprechen, im Detail aber Fehler aufweisen. Darüber hinaus empfinde man manche Beiträge nur als falsch, weil sie der eigenen Perspektive widersprechen. Wir müssen sehr vorsichtig sein, so Zuckerberg damals völlig zu Recht, nicht als Schiedsrichter der Wahrheit auftreten zu wollen.17

Einige Monate später zeigte sich Zuckerberg zuständiger für die Falschmeldungen auf Facebook und ergriff Maßnahmen zu deren Bekämpfung, ohne freilich Verantwortung für die Popularität der Falschmeldungen auf Facebook zu übernehmen. Das Eigenlob kurz nach Trumps Wahlsieg, Facebook habe zig Millionen Menschen die Mittel zur politischen Meinungsbildung im Vorfeld der Wahl in die Hand gegeben, bestimmte auch das Manifest »Building Global...

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