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E-Book

Muskelkater kann man nicht streicheln

Von Sportmuffeln, Fitness-Gurus und Beauty-Queens

AutorGuido Eckert
VerlagBenevento
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783710950605
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
»Entschuldigen Sie, aber mir steht ein Schweinehund im Weg« Gesundheit, Fitness und die Optimierung unseres Körpers haben längst kultische Ausmaße angenommen, für manche ist Sport gar an die Stelle von Religion getreten. Guido Eckert geht diesem Fitnesswahn auf den Grund, landauf, landab besucht er Fitnessstudios, die Edelclubs wie die Muckibuden. Dabei liefert er nicht nur eine schonungslose Bestandsaufnahme mit zahlreichen Hintergrunddetails, sondern wirft auch einen Blick auf die unterschiedlichsten Typen von Sporttreibenden. Ein unterhaltsamer, humorvoller Selbstversuch mit Augenzwinkern, der obendrein dazu animiert, an den eigenen guten Vorsätzen dranzubleiben. Guido Eckert ist kein Leistungssportler. Aber er hält seit 25 Jahren den inneren Schweinehund auf Abstand. In dieser langen Zeit hat er einige Trends kommen und gehen sehen, die kleinen familiären Buden wie die großen glitzernden Tempel kennengelernt. Und nach wie vor ist das Fitnessstudio für ihn einer der faszinierendsten Orte überhaupt, begegnen sich hier doch mehrere Generationen, unterschiedliche soziale Schichten und die verschiedensten Typen: vom Sportmuffel über die Beauty-Queen bis hin zum Fitness-Guru, vom Neuling über den Zyniker bis hin zum Besessenen. Guido Eckert schildert diesen Mikrokosmos auf unterhaltsame, selbstironische Weise - und ganz nebenbei bestärkt er einensimplen Vorsatz: Dranbleiben, mehr braucht es nicht.

Guido Eckert, geboren 1964, ist Verfasser von erzählerischen Werken, Hörspielen und Drehbüchern. Zuletzt veröffentlichte er die Tatsachenromane »Möbelhaus« (2015) und »Glück« (2016) unter dem Pseudonym Robert Kisch. Zudem war er als freier Autor für diverse Medien tätig, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, das ZEIT Magazin und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Für seine Arbeit wurde er vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Axel-Spinger-Preis oder dem Theodor-Wolff-Preis. Guido Eckert lebt in Köln.

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Leseprobe

»Das haben wir uns verdient!«


Wer geht überhaupt ins Fitnessstudio?

Til Schweiger ist in meinem Alter.

So viel zur (einzeiligen) Einordnung des Phänomens, das mich angetrieben hat, schwitzend die Republik zu durchstreifen. Denn Til trainiert. Und zwar völlig selbstverständlich. Was er auch gerne und oft zeigt. Til Schweiger aber ist in einem Alter, in dem die Generationen vor uns sich allmählich Gedanken über Testamente, den Altersruhesitz und die Kosten einer Erdbestattung gemacht haben – und weniger darüber, welches junge Fotomodel das hart erarbeitete Sixpack streicheln darf.

Es ist eine paradoxe Situation:

Einerseits verfetten die Deutschen (wie alle Menschen der westlichen Welt) zunehmend – andererseits waren noch nie so viele in einem Fitnessstudio angemeldet.

Einerseits bewegen wir uns im Alltag alle zu wenig – andererseits wollten noch nie so viele Vierzigjährige bei einem Triathlon starten.

Til Schweiger trainiert. Was also ist los in diesem Land?

Ich bin kein Leistungssportler, keine Angst, aber ich trainiere seit 25 Jahren. Ich bin kein Experte für die besten Trainingsprogramme oder die effektivsten »Skills«, aber ich halte den »inneren Schweinehund« seit 25 Jahren auf Abstand. Im Laufe dieses Vierteljahrhunderts habe ich so manches kommen und vor allem gehen sehen, von Anabolika bis Zumba. Ich war in den edelsten Klubs und in Ghetto-Buden. Und in heißen Ländern mit Klimaanlage (was nicht unbedingt zu empfehlen ist).

Im letzten Jahr bin ich sogar einmal quer durch die Republik gereist, durch Metropolen und bis in die Provinz, um ein wenig mehr über das Phänomen zu erfahren. Und Fragen zu stellen.

Ich fange, eher wahllos, in einer typischen mitteldeutschen Kleinstadt an, um erst einmal das »Normale« zu erleben. 30 000 Einwohner.

Hier treffe ich Matthes, Geschäftsführer einer Einzelhandelskette, alleinstehend, keine Kinder. Ein schlanker, kahl rasierter Mann, der mir dadurch auffällt, dass er verstohlen wie ein Grundschüler (in Anzug und Krawatte) vor dem Studio eine Zigarette raucht. Und dabei in seinem Portemonnaie wühlt, das irrsinnig dick ist. Wie ich später erfahre, sammelt Matthes seit Jahren kuriose Zeitungsmeldungen und trägt all diese Schnipsel zusammengepappt in seiner Börse.

Im weiteren Umfeld gibt es laut Matthes ein Studio für Frauen, eins, das »eher esoterisch angehaucht« ist, mit Yoga und Yin Yang, ein gehobenes in einem Hotel – allerdings »mehr Reha«, für Leute, die sich nicht so quälen wollen – und dann noch »eine Ranzbude«.

Interessanterweise ist keine Filiale einer Kette darunter, zumindest aktuell nicht mehr. Gerade auch im Fitnessbereich vollzieht sich in den letzten Jahren gemeinhin eine Umwälzung im wahrsten Sinn des Wortes, bei der finanzstarke Discountketten alles plattwalzen, was bei drei nicht auf den Bäumen ist. Allerdings existieren auch Kleinstudios, wie hier, in der Mitte des Landes, die sich mutig dagegen wehren.

Matthes hat noch etwas vergessen: »Ach ja, und ganz neu: Cross-Fit. Trainieren wie Tiere im Wald.« Dabei sitzen wir den ganzen Tag vor dem Computer … »Das ist im Industriegebiet«, nuschelt er mehr zu sich selbst, »sieht aus wie eine Fabrikhalle. Aber ich war schon zweimal da und finde nicht mal den Eingang. Da hängt irgendwo oben ein Schild drüber, aber keine Öffnungszeiten, nirgendwo ein Klingelschild. Keine Ahnung, ob sich das lange hält.«

»Warum hast du eigentlich überhaupt mit so was angefangen?«, formuliere ich ausweichend, denn mit der Bezeichnung beginnt es meistens schon: Die einen sagen Gym, andere Muckibude oder Fitnessstudio. Oder »Eisen biegen«. Manche nennen auch einfach nur den Namen des Ladens. Oder sagen schlicht: Sport.

»Zu Beginn mehr aus Alibi-Gründen«, erwidert Matthes und schaut an die Decke, »ich weiß gar nicht mehr genau, weshalb. Midlife-Crisis vielleicht. Jetzt kommt das Alter, wo du einrostest, dachte ich. Mit 45 Jahren.«

Rost ist vermutlich der Motivationsklassiker: Alle wollen schlank, sportlich – und jung sein (oder zumindest so aussehen).

Wer gut aussieht, heißt es, habe mehr Chancen im Leben. Zumindest wird diese Gleichung seit den 1970er-Jahren immer wieder neu bestätigt. Allerdings hat es dabei eine interessante Verschiebung gegeben. In den 1970er-Jahren erwartete sich eine deutliche Mehrheit durch besseres Aussehen nämlich noch bessereChancen im Privatleben – seit Beginn des neuen Jahrtausends aber misst die Mehrheit gutem Aussehen für den Beruf eine größere Bedeutung zu.

Sport als Mittel, sein Leben scheinbar selbst bestimmen zu können? Wir haben uns im Griff, theoretisch zumindest, und damit auch das Leben.

»Glaubst du, dass schlanke Menschen glücklicher sind?«, hake ich bei Matthes nach. »Und schlanke Menschen Karriere machen?«

Matthes verzieht den Mund zu einer skeptischen Welle. »Puh …«

Ich habe eine stattliche Liste an Eigenschaften zusammengetragen, die quer durch alle Bevölkerungsschichten und Generationen mit körperlicher Attraktivität verbunden werden: glücklich, begehrt, erfolgreich und charmant zu sein. (Die Nennung »Charme« habe ich dabei nie richtig verstanden.)

Voller Energie und Durchsetzungskraft, selbstbestimmt leben zu können (Wir summen alle mit: »Ich will so bleiben, wie ich bin«). Aber das alles erreichen wir nicht einfach dadurch, dass wir nur so rumstehen. Es muss erarbeitet werden. Hart erarbeitet.

Mittlerweile scheint die Sonne durch die geöffnete Tür, beinahe wie gepresst, auf den Tresen konzentriert, der durch die Beleuchtung noch mehr wie eine Kommandozentrale wirkt. Irgendetwas funktioniert dort heute nicht mit der Technik. Die Mitgliedsausweise lassen sich nicht elektronisch lesen.

»Obwohl …«, setzt Matthes noch einmal an, »der Hauptgrund, weshalb ich hier angefangen habe, ist der, dass man keine sozialen Kontakte pflegen muss. Ich arbeite im Einzelhandel, da muss ich zehn Stunden täglich labern. Wenn ich dann anschließend noch in einem Sportverein quatschen müsste, würde ich Amok laufen. Außerdem muss man in einem Verein feste Zeiten und Termine einhalten.«

In dieser typischen Kleinststadt wie auch überall sonst in Deutschland, so weit kann ich vorgreifen, sehe ich Jung und Alt beinahe paritätisch vertreten. Drei Generationen vereint, zumindest in den größeren Studios. In den Billigketten überwiegt eher eine bestimmte Gruppe von Jugendlichen, denen die dortige Anonymität, sprich die Abwesenheit von Personal gefällt. Überall finde ich Menschen unterschiedlichster Nationalitäten vor, eine Vielfalt wie in kaum einer anderen deutschen Institution, und auch darunter wieder unterschiedliche Altersklassen und Schichten – und es funktioniert.

Vor den Steppern, Laufbändern und Fahrrädern sind, jeweils etwas oberhalb der Augenhöhe, Flachbildschirme montiert, und meistens laufen dort TV-Soaps, in denen junge, hübsche Menschen durch ein mutmaßlich kompliziertes Leben schwimmen wie Zierfische in einem Aquarium.

»Zuerst war ich in der Ranzbude«, sagt Matthes, »ein, zwei Mal die Woche, aber ich bin da nicht angekommen. Ein Studio für Türsteher, richtige Bodybuilder, die Duschen nicht so sauber, viele Freihanteln. Fast ausschließlich Männer da; die vier, fünf Frauen waren allesamt Freundinnen der Türsteher. Das alte Klischee. Eingeschworene Klientel.«

Interessanterweise hält sich diese Vorstellung eines »typischen« Studios hartnäckig, dabei wird es zunehmend schwieriger, ein solches Etablissement überhaupt noch zu finden. Wenn es in einer Reportage darum geht, die alten Haudegen aus dem Milieu zu porträtieren, bleibt es beim klassischen Motiv von Boxsack, Hantelbank, Tätowierungen, doch mit dem allgemeinen Trend in der Gesellschaft hat es nicht mehr viel zu tun. Es ist Nostalgie, Fitness-Folklore, wenn man so will.

»Ohne Plan war das alles am Anfang«, erzählt Matthes. »Mal bin ich hingegangen, dann wieder nicht, dann eine Weile häufiger, danach ein halbes Jahr lang gar nicht mehr. Damals gab es im Einzelhandel noch geregelte Öffnungszeiten, das heißt, freitags war mein freier Tag und samstags hatte ich ab dreizehn Uhr frei: Ab ins Studio!, sag ich nur. Und sonntags! Nach dem Training bin ich noch in die Sauna gefahren. Fünf Jahre später öffnete einige Straßen weiter ein neues Studio, da gingen dann eher normale Leute hin und ich habe richtig angefangen. Seitdem trainiere ich viermal die Woche – und zwar hart.«

»Was heißt das: hart?«, frage ich und muss seltsamerweise an den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama denken, der sich bei Auslandsbesuchen, etwa in Berlin, wie selbstverständlich beim Fitnesstraining fotografieren ließ.

»Bis zur Erschöpfung. So etwa eine Stunde lang. Ich informier mich im Internet, seh mir Videos an und schaue mir bei einigen Leuten im Studio, die auch hart trainieren, was ab. Aber es muss Spaß machen.«

Muskelgruppe für Muskelgruppe, sagt er. Ein Bauchmuskelbesessener, mit Mitte fünfzig. Die Arbeitskollegen machten sich zwischenzeitlich Sorgen, weil er in ihren Augen immer nur dünner...

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