2 Alle Theorie ist grau?
Zahlreich und unterschiedlich sind die theoretischen Zugänge zum Phänomen Humor. Viele Erklärungsversuche und Theorien bestehen, die jeweils bestimmte Aspekte verdeutlichen, sich aber nicht grundsätzlich widersprechen. Mag dem Wissenschaftler auch keine der Theorien erschöpfend dieses Phänomen erfassen, so dürfte man von deren Vielfalt eher erschöpft sein und mit Goethes Faust im Prolog (o. J., S. 21) stöhnen: »Da steh’ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor«. Vielleicht lässt sich aber der Humor nicht in einer umfassenden Theorie abbilden, sondern bedarf der Vielfalt, der Ebenen und auch der Unvollkommenheit. Man stolpert in den Theorien. Das ist komisch. Und Komik führt zum Humor. Es sollte einen daher nicht abhalten, Theorien zum Humor zu studieren, um sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Moody (1979, S. 129) schreibt sehr treffend: »Lachen und Humor integrieren das physiologische, psychologische und soziale Geschehen, das den Menschen formt wie kaum ein anderes Phänomen.«
Einige Übersichten zu den wichtigsten Theorien zum Humor liegen vor (z. B. Dumbs 2002; Eggli 1997; Katschnig 2004; Bönsch-Kauke 2003a; Titze und Eschenröder 2003). Daher kann sich hier auf eine kurze Beschreibung beschränkt werden.
2.1 Psychophysiologische Theorien
Die psychophysiologischen Theorien beschäftigen sich mit emotional-physiologischen Aspekten eines humorvollen Ereignisses und betonen die affektiv-ökonomische Seite des Humors. Lachen und Humor werden als angeborenes adaptives Potenzial sowie als Ventil für angestaute und überschüssige Energie (Reduktion von Spannung) gesehen. Lachen hat eine rein kathartische Funktion und dient dem emotionalen Überleben des Menschen. Humorvolle Erlebnisse gehen mit einer Entspannung einher. Besonders starke Reaktionen entstehen beim Erleichterungslachen (Lachen als Zeichen der wiedergewonnenen Sicherheit). Humor und das damit mögliche Lachen werden auch als Notwendigkeit zum emotionalen Überleben und zur Befreiung körperlicher Verspannungen gesehen. Lachen wird von Spencer, aber auch Darwin (1872), Koestler (1966) und McGhee (1972) als ein angeborenes Instinktverhalten des Menschen angesehen. Lachen hat eine kathartische Funktion und dient auch dem emotionalen Überleben des Menschen.
Einer der frühesten Vertreter dieser Theorien hat das Lachen als Sicherheitsventil für überschüssige Energie bezeichnet (Spencer 1980, zit. nach Dumbs 2002, S. 23 f.). Spencer ist der erste Vertreter der Spannungsreduktionstheorie des Humors. Die Theorie lautet so: Überschüssige nervöse Energie »entweicht« über motorische Nerven, was zur Muskelaktivität führt, über nicht motorische Nerven, die bestimmte Bewusstseinszustände ergeben oder über viszerale Nerven. Beim Lachen würden große Energiemengen über diejenigen Nerven abgeführt, die den Mund und die Atmung versorgen, woraus die charakteristischen Bewegungen und Geräusche resultieren. Als inkongruent empfundene Elemente werden zum auslösenden Stimulus.
Das Lachen ergibt sich am Schnittpunkt zwischen dem Erhabenen und dem Trivialen, wenn das Bewusstsein ganz plötzlich von etwas Bedeutendem zu etwas Nichtigem übergeht. (Frings 1996, S. 43)
Lachen trage, so Spencer, zu einem homöostatischen Ausgleich innerhalb des Organismus bei, indem es helfe, den Blutdruck zu stabilisieren, den Kreislauf anzuregen und den Körper zu entspannen. Sein eigentlicher Zweck sei die Befreiung körperlicher Verspannungen (Titze und Eschenröder 2003).
Berlyne (zit. nach Dumbs 2002) vertritt die Auffassung, dass Lachen aus dem Wechsel des Erregungsniveaus resultiert. Er spricht beim Erregungsverlauf von einer umgekehrten U-Funktion und betont, dass das Lachen sich aus dem Zusammenspiel von Auf- und Abbau der Erregung ergibt.
Freuds Beiträge zum Humor (1927) sind dieser Gruppe zugeordnet. Er geht davon aus, dass man sich mit Humor Affekte erspart, zu denen die Situation Anlass gebe, und dabei die Lust am Humor auf Kosten unterbliebener Affektentbindung entsteht (Freud 1905c, S. 266):
Das Ich verweigert es, sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, es beharrt dabei, dass ihm die Traumen der Außenwelt nicht nahe gehen können, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zum Lustgewinn sind.
Durch Abzug von Objektlibido und Ich-Besetzung im Dienste einer starken Besetzung eines gütigen Über-Ichs ist der Humor eine »höchststehende Abwehrleistung« (ebd.) nicht nur der Realität, sondern auch des Ambivalenzkonfliktes überhaupt geworden. Die äußere und innere Realität werden spielend ihres Ernstes beraubt.
Da der Humor Lust ermöglicht und der Realität ohne Resignation trotzt, hat er eine Sonderstellung innerhalb der Abwehrmechanismen. Im Unterschied zu diesen verliert er nie »den Boden seelischer Gesundheit« (Freud 1927, S. 386).
Er verschmäht es, den mit dem peinlichen Affekt verknüpften Vorstellungsinhalt der bewussten Aufmerksamkeit zu entziehen, wie es die Verdrängung tut, und überwindet somit den Abwehrautomatismus; er bringt dies zustande, indem er die Mittel findet, der bereits gehaltenen Unlustentbindung ihre Energie zu entziehen und diese durch Abfuhr in Lust zu verwandeln. (Freud 1905c, S. 266)
Vaillant (1980, S. 151 f.) spricht von einer »eleganten« Abwehrform: »Durch Humor gelöste Spannungen schwelen – anders als durch Verdrängung oder Reaktionsbildung bloß verschleierte Konflikte – nicht weiter, um dann eines Tages erneut aufzubrechen.« Reik (1929) und Strotzka (1976) sehen das Lachen als Reaktion auf eine humorvolle Situation, als einen gesunden und biologisch notwendigen Entlastungsprozess, der innerpsychisch bedingt ist. Nach Alfred Adler ist das Streben nach Überwindung von Mangellagen ein Kennzeichen der Lebensdynamik gesunder psychischer Patienten (Ansbacher und Ansbacher 1982). Bei Erfolg kommt es zu einer Entlastungsreaktion, die u. a. Lachen sein kann.
2.2 Überlegenheits- und Aggressionstheorien
Diese Theorien betonen die feindseligen und entwertenden Komponenten des Humors (Schadenfreude, Sarkasmus). Sie gehen auf die antike Degradationstheorie von Aristoteles zurück, die besagt, dass die Wahrnehmung von Defektem oder Hässlichem zum Lachen anregt. Lachen erfolgt nach Hobbes (1642, S. 33) bei einem »Triumph« über einen als minderwertig wahrgenommenen Menschen: »Allgemein ist das Lachen das plötzliche Gefühl der eigenen Überlegenheit angesichts fremder Fehler. Hierbei ist die Plötzlichkeit wohl erforderlich.«
Hauptquelle des Lachens sind Misserfolge, Demütigungen und Leiden anderer Menschen, also die Schadenfreude. Lachen dient dazu, Anspannung zu lösen, hier aber erklärt durch den Triumph über einen Gegner oder ein feindlich empfundenes Objekt. Ethologisch wird Lachen ursprünglich als eine Drohgebärde gesehen, die sich im Laufe der Menschheit zu einer Begrüßungszeremonie gewandelt hat (Titze und Eschenröder 2003, S. 40). Aus einem aggressiven Zähnefletschen sei zunächst ein »ritualisiertes Zubeißen« geworden. Eibl-Eibesfeldt (1997, S. 111) spricht davon, dass mit dem Lachen auch ein starkes Band für Gruppenmitglieder geschaffen wird, welches für Außenstehende eher unangenehm ist. Das Lachen scheint sich in seiner ursprünglichen sozialen Funktion gegen Dritte zu wenden: »Wir lachen (drohen) gemeinsam gegen einen Dritten« (ebd., S. 111). An einer weiteren Stelle heißt: »In allen diesen [Konflikt-]Situationen scheint das Lachen spannungslösend, aggressionsableitend zu wirken.«
Für Bergson (2011, S. 134) ist Lachen ein Korrektiv und Erziehungsmittel. Es ist auch dazu da, jemanden zu demütigen: »Infolgedessen muss es in der Person, der es gilt, eine peinliche Empfindung hervorrufen. Durch ihr Gelächter rächt sich die Gesellschaft für Freiheiten, die man sich ihr gegenüber herausgenommen hat.« Cox (1972) formuliert als Untertitel in seinem Buch »Das Fest der Narren«: »Das Gelächter ist der Hoffnung letzte Waffe«. Lachen und Humor auf Kosten anderer...