1 Kopf und Gehirn
1.1 Anatomie und Normvarianten
1.1.1 Einteilung der Oberflächen-Neuroanatomie
Bei flächendeckend verfügbarer Schnittbildgebung in immer höherer Qualität muss die neuroradiologische Befundqualität und damit die Beschreibung der Neuroanatomie dieser Entwicklung folgen. Entsprechend sollte neben der Hirnregion die Lokalisation der Läsion unter Berücksichtigung von Lappen (Lobi), Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci) beschrieben werden. Für die Auffindung der einzelnen Strukturen ist die Kenntnis von neuroanatomischen Landmarken (Leitstrukturen) essentiell.
1.1.1.1 Telenzephalon (Endhirn, Großhirn, „Cerebrum“)
Der für die beiden Hirnhälften im Alltag häufig verwendete Begriff „Cerebrum“ ist streng neuroanatomisch unzutreffend, da er eigentlich das Gehirn in seiner Gesamtheit umfasst. Die 2 Hemisphären des Großhirns werden topografisch in 3 Flächen, 3 Pole und 3 Kanten bzw. in 5 Hirnlappen eingeteilt ( ▶ Abb. 1.1).
Flächen, Pole und Kanten des Endhirns.
Abb. 1.1 FB: Facies basalis (basale Fläche); FL: Facies lateralis (laterale Fläche); FM: Facies medialis (mediane Fläche); PF : Polus frontalis (Frontalpol); MI: Margo inferior (basale Kante); ML: Margo lateralis (laterale Kante); MS: Margo superior (Mantelkante); PO: Polus occipitalis (Okzipitalpol); PT: Polus temporalis (Temporalpol).
1.1.1.2 Hirnlappen (Lobi)
Obwohl die lobäre Einteilung in 5 Hirnlappen eine simple, rein deskriptive Einteilung darstellt, die weder zytoarchitektonische noch funktionelle Eigenschaften berücksichtigt, hat sie sich durch die Übertragbarkeit auf die makroskopischen Schädelregionen im klinischen Alltag durchgesetzt ( ▶ Abb. 1.2). So spielt die seit 1909 bekannte, wesentlich präzisere histologische Aufteilung in 43 Brodmann-Areale im klinischen Alltag eine untergeordnete Rolle. Die noch nicht lang verfügbare Diffusion Tensor Bildgebung (DTI) unterstreicht, dass es sich beim Gehirn nicht um klar abgrenzbare Strukturen handelt, sondern um die Gesamtheit von Nervenfaserbahnen und um Funktionszentren, welche nur schwer logisch klassifizierbar sind.
Die fünf Hirnlappen.
Abb. 1.2 Gliederung der Großhirnhemisphären in Lappen.
Abb. 1.2a Ansicht von links auf die linke Hemisphäre.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015.)
Abb. 1.2b Ansicht von links auf die rechte Hemisphäre.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015.)
Abb. 1.2c Ansicht von basal, Hirnstamm entfernt.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015.)
Lappenbegrenzungen
Die Lappenbegrenzungen orientieren sich an abgrenzbaren anatomischen Landmarken, bei Abwesenheit dieser Landmarken können die Grenzen jedoch verschwimmen ( ▶ Abb. 1.3). Dies ist z.B. zwischen Lobus temporalis, parietalis und occipitalis der Fall, so dass diese Region auch als temporo-parieto-okzipitaler Übergang umschrieben wird.
Lappengrenzen nach Ono.
Abb. 1.3 LF: Lobus frontalis; LL: Lobus limbicus; LO: Lobus occipitalis; LP: Lobus parietalis; LT: Lobus temporalis. 1 Sulcus centralis, 2 Sulcus parietooccipitalis, 3 Sylvische Fissur, 4 Incisura praeoccipitalis, 5 temporookzipitale Linie, 6 laterale parietotemporale Linie, 7 frontobasale Fläche, 8 basale parietotemporale Linie, 9 Sulcus cinguli, 10 Sulcus subparietalis, 11 Sulcus collateralis.
Abb. 1.3a Ansicht von lateral.
Abb. 1.3b Ansicht von medial.
1.1.1.3 Hirnwindungen und -furchen (Gyri, Sulci)
Die Oberflächenanatomie sollte ausgehend von stabilen Landmarken betrachtet und befundet werden ( ▶ Tab. 1.1). In ▶ Abb. 1.4 werden die klassischen primären gyralen und sulkalen Muster dargestellt.
Tab. 1.1 Topografische Landmarken (Fissuren, Sulci, Gyri und Zeichen) der Gehirnoberfläche.
Laterale Fläche | Mediane Fläche | Basale Fläche |
Fissura Sylvii Sulcus centralis Sulcus interparietalis M-förmiger Gyrus frontalis inferior ω- oder ε-förmiges Handareal im Gyrus praecentralis Klammer-Zeichen: R. marginalis des Sulcus cinguli
| | Incisura praeoccipitalis Sulcus collateralis
|
Gyrale und sulkale Muster.
Abb. 1.4
Abb. 1.4a Gyri und Sulci der konvexen Hirnoberfläche. Linke Großhirnhemisphäre, Ansicht von lateral.
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. – Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015.)
Abb. 1.4b Gyri und Sulci der Endhirnbasis. Sicht auf das Großhirn von basal (= von unten).
(Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. – Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. 4. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015.)
1.1.1.4 Literatur
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[6] Naidich TP, Brightbill TC. Systems for localizing fronto-parietal gyri and sulci on axial CT and MRI. Int J Neuroradiol 1996; 2 (4): 313–338
[7] Naidich TP, Daniels DL, Haughton VM et al. Hippocampal formation and related structures of the limbic lobe: anatomic-MR correlation. Part II. Sagittal sections. Radiology 1987; 755–761
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