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Mysterienkulte der Antike

Götter, Menschen, Rituale

AutorHans Kloft
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2019
ReiheBeck'sche Reihe 2106
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406736605
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Demeter, Dionysos und Sabazios, Isis und Osiris, Kybele und Dea Syria, Mithras - Hans Kloft bietet hier eine gut verständliche, kenntnisreiche Einführung in die antiken Mysterienkulte und die dort gepflegten Kultpraktiken und Rituale. Darüber hinaus zeigt er, wie sich die einzelnen Kultgemeinden zusammensetzten und welche Erlösungshoffnungen ihre Mitglieder an die verehrten Götter knüpften. Schließlich macht er deutlich, inwieweit das Christentum in der Tradition antiker Mysterienkulte steht.



Hans Kloft lehrte als Professor für Alte Geschichte an der Universität Bremen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Sozial- und Religionsgeschichte der Antike.

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Leseprobe

II. Demeter und Eleusis


Eleusis in Attika, ca. 20 km von Athen in einer fruchtbaren Ebene gelegen – «ein Fruchtland voll wie ein Euter an Nahrung» (Homer, Hymnus an Demeter 450) –, das schon seit der Prähistorie den Anbau von Getreide kannte, besaß bereits in der archaischen Zeit ein unscheinbares Heiligtum zu Ehren einer mächtigen Mutter- und Erdgottheit mit Namen Demeter. Die frühen Riten, mit denen sie als Gründerin und Garant der Getreideernte gefeiert wurde, lassen sich nur noch erahnen. Die Deutung des Namens macht einige Schwierigkeiten, nur der zweite Bestandteil meter – Mutter – ist eindeutig. Ebenso lassen sich die vielfältigen äußeren Einflüsse, welche das Profil dieser Göttin mitbestimmen, nicht bis ins Letzte klären. Elemente vorderasiatischer Mythen, in denen Götter den Gang in die Unterwelt (katabasis) antreten, indogermanische Vorstellungen einer Kornmutter bzw. eines Kornmädchens, und schließlich uralte lokale Erfahrungen mit mächtigen chthonischen Gottheiten, deren Reservat die bedrohliche Unterwelt war, mögen sich in der Gestalt der Demeter zusammengefunden haben. Sie ist die göttliche Wesenheit, «die das Leben, den Lebensunterhalt gibt und der die Toten gehören» (W. Burkert), sie ist die wirksame Heilerin, an die sich die Menschen mit ihren körperlichen Gebrechen wenden und bei der sie Heilung suchen. Die Pflege der Gottheit lag in den Händen lokaler Adelssippen, ehe die Gemeinde die Verehrung der Demeter zu ihren Aufgaben machte.

Im entwickelten Kult von Eleusis sind der Demeter verschiedene Personen zugeordnet, welche das heilige Geschehen verständlich machen. Der Mythos, die heilige Geschichte (hieros logos), weiß zu berichten, dass Kore, ihre Tochter, vom Unterweltsgott Hades gewaltsam entführt wurde, der sie mit Wissen des obersten Gottes Zeus zu seiner Gattin machte. Als Herrin des Totenreiches trug sie den Namen Persephone. Demeter, die ihr Kind überall auf der Erde suchte, ließ keine Saaten mehr wachsen. Endlich gelang es den Göttern durch Vermittlung des Hermes, dass Kore-Persephone wieder zur Oberwelt zurückkehren durfte. Aber sie hatte vorher auf Anraten ihres Gatten vom Granatapfel, dem «Blutsakrament der Unterwelt» (W. Burkert) gegessen. Dies hatte zur Folge, dass sie dorthin wieder zurückmusste. Schließlich kam eine Einigung, ein «Vertrag» zustande, nach welchem Kore-Persephone ein Drittel des Jahres bei ihrem Gatten, die übrige Zeit hochgeehrt bei den Göttern im Olymp verbringen sollte. Diesem Kompromiss konnte Demeter zustimmen, «und die ganze Erde strotzte wieder von Blättern und Blüten» (Hom. Dem. 472f.).

Es liegt im Wesen des Mythos, der heiligen Erzählung, dass sie nie ganz abgeschlossen ist und eine historische Deutung dadurch erschwert wird. Einigermaßen klar ist, dass Kore gleichsam das zweite Ich der Demeter bezeichnet, ihre jugendliche Ausgabe in Gestalt eines blühenden Mädchens. Hades, männlicher Gegenspieler und auch Partner, verkörpert in ambivalenter Weise Tod und Reichtum. Reichtum – Plutos – als wichtiges Gottesgeschenk der Unterwelt, wird im Kult dann zu einer eigenen göttlichen Kraft abgeschichtet; Plutos, als Spross der Demeter, personifiziert den Erntesegen. Eine wichtige Stellung im heiligen Drama nimmt Triptolemos, der «Dreimalschüttler», ein, der also das Getreide gründlich worfelt und reinigt. Die ursprüngliche Nebenfigur entwickelt sich seit dem 6. Jahrhundert mehr und mehr zum Heros des Ackerbaus, der mit den Segnungen der agrarischen Wirtschaftsweise den Menschen zugleich Kultur und Gesittung bringt. Er gewinnt über Eleusis hinaus weite Verbreitung in anderen Getreideanbaugebieten, so in Sizilien und Unteritalien.

Ackerbau – Getreide – Unterwelt sind die drei Bereiche, aus denen Personen und Kulthandlungen in Eleusis erwachsen und allmählich Konturen erhalten, die der Mythos zusammenfügt. Dies geschieht seit dem 6. Jahrhundert in erkennbarem Zusammenhang mit der steigenden Bedeutung Athens, welches wahrscheinlich unter der Tyrannenherrschaft der Peisistratiden (561–​510 v. Chr.) den lokalen zu einem offiziellen attischen Staatskult umformt und die ursprünglichen Vegetationsfeiern auf festere institutionelle Grundlagen stellt. An der Spitze des Kultpersonals etablieren sich auf Dauer die Angehörigen zweier berühmter Familien, der Eumolpiden, welche das Amt des hierophantes wahrnehmen, also des Priesters, der die heiligen Dinge sichtbar macht, daneben der Kerykiden, die den daduchos (Fackelhalter) und den hierokeryx (Opferherold) stellen. Auch das Weihehaus (telesterion), ein quadratischer Bau, der in seiner späteren Erweiterung bis zu 3000 Menschen aufnehmen konnte, erhält einen festeren Umriss. Er umschließt das anaktoron, «Palast» genannte Kultzentrum, einen flachen Altar mit Eingang und Gruben, der nur dem Hierophanten zugänglich war.

Im Monat Boedromion (September/Oktober) finden die großen Mysterienfeiern statt, auf welchen Tausende von Athenern und Fremde auf der heiligen Straße nach Eleusis pilgern. Trotz dieser gewaltigen Zahl bleiben die Einweihung und die Teilnahme an den Mysterien individuelle Akte, welche in ihren einzelnen Bestandteilen sehr wohl typischen Charakter tragen. Reinigung und Fasten, Anlegen weißer Gewänder, das Mitführen heiliger Gegenstände in verschiedenen Behältnissen, Gesänge und Gebete auf dem Wallfahrtsweg, das Opfer eines kleinen Ferkels – all dies sind vorbereitende Handlungen, ehe sich im telesterion die myesis, die eigentliche Einweihung ereignet. Sie stellt den Höhepunkt der Feiern dar, ein Ereignis, worüber der Myste, der Eingeweihte, strenges Stillschweigen zu bewahren hatte. Die Riten besitzen den Charakter des Unsagbaren und des Verbotenen, sie sind árrheta und apórrheta. Sie vermitteln damit dem Sakralen, den Nimbus besonderer Exklusivität.

Erahnbar ist bei diesem zentralen Kultakt, der unter geschickter Ausnutzung von Licht- und Dunkeleffekten ablief, die Präsentation heiliger Dinge und Personen. Die Schau, epopteia, gehört hier wie auch bei anderen Mysterien wesentlich zum Vorgang dazu. Möglicherweise wird Kore unter Gongschlägen aus der Unterwelt heraufgeholt; daneben spielt auch die Ankündigung der Geburt eines göttlichen Knaben (Brimos, Iakchos, Plutos) und eine abgeschnittene Ähre eine Rolle als Hinweis auf Tod und Fruchtbarkeit. Die dramatische Vergegenwärtigung der göttlichen Geheimnisse, der religiöse Pantomimus, ist dabei nur ein Teil des Geschehens. Heiliges Zeigen (deiknomena) und heiliges Sprechen (legomena), die sich an den Einzuweihenden richten, finden ihre Ergänzung im heiligen Tun (dromena); es wird das umrisshaft greifbar im sogenannten synthema, eine Art Geheimcode, welcher die zentralen Vorgänge thematisch zusammenfasst und bei Clemens von Alexandrien wie folgt überliefert ist (Protreptikos 21,2):

Ich fastete – ich trank den Mischtrank (Kykeon)

ich nahm aus der Kiste,

ich hantierte (mit Gegenständen)

und legte dann in den Korb

und aus dem Korb wieder in die Kiste

Wichtiger als die Frage, welche Gegenstände die heilige Kiste (cista mystica) wohl enthalten haben dürfte – man hat dabei an Nachbildungen des männlichen Gliedes und des Mutterschoßes, aber auch an symbolträchtige Werkzeuge im Kontext der Getreideverarbeitung gedacht –, ist die Funktion dieses Vorgangs. Der Myste wird selbst tätig, er bereitet sich vor; er nimmt einen «sakramentalen Trunk» (G. Haufe), berührt und hantiert mit heiligen Gegenständen. Das bindet ihn zusätzlich in das Geschehen ein und nähert ihn dem Heiligen an. So kennt die Initiation sowohl das passive Schauen und Erleiden wie auch das nachahmende Tun. Beide Modalitäten gehören in den Kontext archaischer Fruchtbarkeitsvorstellungen, in elementare Naturvorgänge, die zwar untergründig schon immer vorhanden und wirksam waren, in die der Initiand aber durch einen spektakulären Akt persönlich eingebunden werden will.

Die Rituale, welche die Mysterien herausgebildet haben, gewinnen teilweise ihre Erklärung im Mythos, welcher den hieros logos, die heilige Geschichte, aufbewahrt. Er trägt für die Mysterienfeiern der Demeter begründenden Charakter. Der schon erwähnte Hymnus lässt die Hauptzüge, wie sie oben zusammengefasst wurden, deutlich erkennen. Der Kult feiert das Absterben der Vegetation und ihr Aufblühen im Frühjahr, daneben thematisiert er aber auch das Hervorholen von Saatgut,...

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