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E-Book

Blutsschwestern: Tagebuch einer an Leukämie erkrankten Mutter

AutorIris Schmidt
VerlagPandion Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783869115474
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR

Iris Schmidt fühlte sich schon seit einigen Monaten immer wieder ausgebrannt und schlapp. Eine Infektion folgte der nächsten. Sie ging von Arzt zu Arzt, aber außer einer Grippe, einer Halsentzündung und einer Schilddrüsenentzündung stellte niemand etwas Auffälliges fest. Die blauen Flecken an ihren Beinen nahm niemand zur Kenntnis, sie selbst ignorierte sie ebenfalls. Man riet ihr, erst einmal mit ihrer Familie in den Urlaub zu fahren und sich dort richtig auszukurieren. Gesagt – getan!
Doch was dann in der Türkei geschah, darauf war niemand vorbereitet. Kurz entschlossen wurde der Urlaub in letzter Sekunde abgebrochen und man landete auf dem Flughafen Frankfurt, nur einen Steinwurf vom Universitätsklinikum entfernt.
Dort sollte Iris dann in den nächsten Stunden die bittere Wahrheit über ihren Zustand erfahren. Zu ihrem Entsetzen teilte man ihr mit, dass es ohne Stammzelltransplantation keine Rettung für sie gebe. Es musste dringend ein genetischer Zwilling gefunden werden … Die nächsten Wochen und Monate wurde die 120 Kilometer entfernte Klinik dann ihr Zuhause …



?Iris Schmidt, geboren 1968 im Westerwald, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Sie schrieb dieses Buch, um ebenfalls erkrankten Menschen und ihren Familien Kraft und Hoffnung zu geben. ?

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Leseprobe

5. Erholungsurlaub zu Hause


 

Von Freitag, den 6. September 2013 bis Dienstag, den 1. Oktober 2013 durfte ich dann tatsächlich nach Hause. Es waren dreieinhalb Wochen, sage und schreibe 25 Tage.

 

An dieser Stelle ist es interessant über die vielen Veränderungen, die in den letzten Tagen bei uns zu Hause stattgefunden hatten, zu berichten: Frank stellte zusammen mit den Kindern, unseren Müttern, Jutta, Anke und Nicole unser komplettes Haus auf den Kopf. Es gab keine Ecke und keinen Winkel mehr, der nicht geschrubbt und gewienert war. Alle Blumen und Teppiche wurden entsorgt. Die kompletten Pflanzen standen in unserer Gartenhütte und alle losen Teppiche lagen in der Kellerbar. Die Pflanzen verschenkte ich später alle an Irmgard, Mama und meine Freundin Jutta. Im nächsten Herbst 2014 würde ich mir dann wieder neue Blumen kaufen. So lange sollte es dauern, bis ich wieder Pflanzen im Haus haben durfte.

Die Bettdecken wie auch die Kopfkissen wurden neu gekauft und frisch überzogen und unsere alten Sofakissen lagen in der Mülltonne. Mama kaufte neue Kissen samt Bezügen, denn alles musste relativ steril und sauber sein.

Im Gäste-WC gab es keine Handtücher mehr, sie wurden durch Papiertücher ersetzt und ein großer Spender mit Desinfektionsmittel stand für alle bereit, die mich in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten besuchen sollten. All diese Dinge und jede Menge Mundschutz besorgte mir mein lieber Schwager Lothar. An dieser Stelle nochmal vielen lieben Dank!

Der Staubsauger wurde ausgetauscht, Dirk besorgte uns einen neuen mit Filterreinigung. Mit dem Alten durfte ich nicht mehr saugen, und auch den Raum, nachdem ein anderer gesaugt hätte, eine Stunde lang nicht betreten.

Mein Bett musste jede Woche mindestens zweimal frisch bezogen werden.

Das Schlimmste allerdings war, dass unsere Häschen Flocke und Paule nicht aus ihrem Urlaubsquartier in Wittgert zurückgeholt werden durften. Sie mussten leider noch bis Ostersamstag 2014 bei Mama und Papa bleiben. Ich durfte weder Kontakt mit den Tieren haben, noch durfte ich mit Heu und Stroh in Berührung kommen. Lena litt sehr unter dieser Trennung, sie wollte die Hasen auch in Wittgert nicht besuchen, erst dann, wenn sie sie wieder mit nach Hause nehmen durfte. Arme Lena, sie tat mir so leid.

So, das war’s erst einmal mit den äußerlichen Veränderungen. Nach der Transplantation sollte es noch strenger werden, aber dazu später mehr.

 

Es geht weiter mit dem Bericht über meine Zeit zu Hause.

Nach neun langen Wochen zu Hause angekommen (fast zwei Wochen in der Türkei und sieben im Krankenhaus), schloss Papa mir unsere Haustür auf und ich ging langsam ins Wohnzimmer und brach dort erst einmal zusammen. Meine Eltern wussten gar nicht was auf einmal mit mir los war, aber ich konnte nur noch weinen, weinen, weinen. Die Kinder waren noch in der Schule und so waren wir drei Gott sei Dank alleine. Mama und Papa setzten sich rechts und links neben mich aufs Sofa und mir wurde bewusst, dass ich insgeheim schreckliche Angst hatte, nie wieder nach Hause zu kommen. Wir weinten eine ganze Weile gemeinsam, der gesamte Ballast entlud sich, doch dann sollten es wunderschöne 25 Tage zu Hause werden.

 

Als nun unsere Kinder mittags aus der Schule kamen, wurde, nachdem die Hände desinfiziert waren und sie sich umgezogen hatten, zuerst einmal lange auf dem Sofa geknuddelt. Auch hier flossen wieder Tränen. Ich nahm meine Kinder zum ersten Mal nach langer Zeit wieder ohne Mundschutz, Kittel und Handschuhe in die Arme, was für ein tolles Gefühl. Aber ich befand mich ja „fast“ in einem Zellhoch. Frank kam ganz früh von der Arbeit nach Hause und atmete erst einmal völlig erleichtert auf. Am Abend schlief er bereits um 19.00 Uhr auf dem Sofa neben mir ein. Wie konnte er nur die kompletten sieben Wochen so durchhalten und so funktionieren? Der Arme!

Samstags kaufte Frank mir in der Apotheke einen Medikamenten-Dosierer, in dem ich für eine Woche meine Medikamente richten konnte.

Sonntags morgens um halb acht fuhren wir dann, wie versprochen, wieder nach Frankfurt, unsere Kinder schliefen noch. Wir wollten später frische Brötchen mitbringen, um gemeinsam zu frühstücken. Ich war wie gelähmt vor Angst, dass sie mir mitteilen würden, ich müsse dort bleiben, weil die Blutwerte noch nicht in Ordnung seien. Frank schien es genauso zu gehen, denn wir sprachen kaum ein Wort miteinander im Auto. Jeder hing nur so seinen Gedanken nach.

Nachdem man mir auf Station B 11 Blut abgenommen hatte, brachte Frank die Blutröhrchen ins Labor und wir warteten eine unendlich lange Stunde auf das Ergebnis.

Als die Ärztin dann ins Zimmer kam, hatte sie ein breites Grinsen auf den Lippen. Sie meinte nur, dass zwei Tage zu Hause solche Blutveränderungen bewirkten, hätte sie auch noch nicht gewusst. Meine Werte wären ungewöhnlich schnell gestiegen und sie könne mich jetzt guten Gewissens entlassen. Sie gab uns die Entlassungspapiere, die acht Seiten umfassten. Nicole sagte später einmal: „Da kannst du aber richtig stolz drauf sein!“. Naja, das kann man dann sehen wie man will und wir lachten beide.

In den kommenden drei Wochen standen viele Arzttermine auf dem Programm, die ich aber gerne in Kauf nahm. Hauptsache, ich konnte zu Hause sein.

Zuerst musste ich zum Zahnarzt, um abzuklären, dass in der nächsten Zeit keine größere Behandlung anstehen würde.

Dann stand eine Untersuchung beim Augenarzt an. Er soll­te den Stand meiner Augen vor der Transplantation über­prüfen und festhalten.

Der dritte Termin fand dann beim Frauenarzt statt. Meine Spirale musste entfernt werden, denn jeder Fremdkörper in meinem Körper könnte bei der Transplantation ein Entzündungsrisiko darstellen.

Als Viertes musste ich dann noch zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Dieser staunte nicht schlecht mich nach meinem Termin im vergangenen Juni mit dieser Diagnose wieder zu sehen. Aber auch dort war alles in bester Ordnung.

Außerdem standen fünf Termine in Frankfurt in der Ambulanz auf dem Programm, ab jetzt hatten Papa und Josef abwechselnd Fahrdienst. Die beiden taten mir oft richtig leid, denn wir mussten immer ziemlich früh von zu Hause wegfahren und die Termine dauerten meist sehr lange, da die Blutergebnisse jedes Mal abgewartet werden mussten und anschließend noch ein Gespräch mit dem behandelnden Arzt stattfand.

Es wurden außer den Blutuntersuchungen noch ein Herzultraschall, eine Knochendichtemessung, ein EKG und ein Lungenfunktionstest durchgeführt. Am Schlimmsten waren die Aufklärungsgespräche bezüglich der anstehenden Transplantation in der Ambulanz und in der Strahlenklinik.

Mein Arzt hielt mir einen einstündigen Vortrag über die Risiken der Transplantation. Er meinte zum Schluss: „Wenn Sie jetzt nicht mindestens dreimal geschluckt haben, dann habe ich nicht ordentlich aufgeklärt“. Darauf konnte ich nur erwidern, dass ich mindestens zehnmal geschluckt hätte. Er gab mir zur Antwort: „Frau Schmidt, wie ich Sie hier kennengelernt und Ihre Akte studiert habe, kann ich Ihnen sagen, dass ich für Ihre Transplantation ein sehr gutes Bauchgefühl habe. Sie schaffen das!“ Diesen Satz meißelte ich ab jetzt in mein Gehirn ein und ich sagte mir immer wieder‚ „Mein Arzt hat gesagt, dass ich es schaffe!“ Er mit seiner Erfahrung muss es ja wissen! Er hätte es nicht gesagt, wenn er es nicht so meinte.

Der Vortrag in der Strahlenklinik war nicht weniger schlimm, Papa begleitete mich an diesem Tag. Man erzählte mir etwas vom grauen Star, der erhöht auftreten könnte und von einem erhöhten Krebsrisiko und Tumorbildung an einer anderen Stelle in meinem Körper. Auch hier musste oft geschluckt werden, aber was sollte ich denn machen, ich hatte gar keine Wahl und unterschrieb alles! Ohne Transplantation hatte ich überhaupt keine Chance zu überleben und mit der Transplantation gab es wenigstens eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit.

Im Anschluss an dieses Gespräch musste ich noch ein CT für die Bestrahlung über mich ergehen lassen, ich musste komplett vermessen werden.

 

In den drei Wochen zu Hause durfte ich wieder alles essen, Salat, Obst und Eis. Ich musste nicht auf keimreduzierte Kost achten, denn vorerst war ich von meiner Leukämie befreit und befand mich in einem Zellhoch. Oh wie ich mich freute. Aber diese Freude sollte auch schnell wieder vergehen, denn ich hatte gar keinen Geschmack mehr. Ich kochte uns Rouladen mit Klößen und Rotkohl, doch ich schmeckte gar nichts. Meine Familie sagte zwar, dass es wie immer richtig gut schmeckt, aber ich konnte nur den guten Geruch riechen, nicht aber schmecken. Erst nach drei Wochen kam dann der richtige Geschmack zurück, aber leider nur für kurze Zeit …

In den ersten Tagen konnte ich nur ziemlich kraftlos auf dem Sofa liegen. Morgens frühstückten wir alle vier gemeinsam, aber dann legte ich mich wieder für ein, zwei Stündchen ins Bett, sobald die drei aus dem Haus waren. Ich schaffte es schon sehr schnell, wieder für uns zu kochen und auch die Wäsche zu waschen und zu bügeln. Die ersten Male musste Frank oder eines der Kinder mich in den Keller oder auch nach oben begleiten, weil meine Beine so schlapp und kraftlos waren, dass ich es mir...

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