3. Gemälde vom Meer
Eine Frau (Ausschnitt, ganzes Gemälde: 70x140cm) sitzt am Meer. Sie denkt, sie träumt, sie sinnt nach. Sie schaut zum hellen Horizont, aber hinter ihrem Rücken naht das Unwetter, der Sturm. Eine Möwe fliegt im Wind. Sie lebt mit den Elementen. Eine Lachmöwe steht auf dem Sand. Sie ist ein kleines Krafttier.
Fotos werden heutzutage endlos geknipst. Man schaut sie kurz an, legt sie fort, möchte das nächste, das nächste und wieder das nächste.
Gemälde sind wie eine angehaltene Zeit. „Halte auch Du die Zeit an!“ Das ist ihre Botschaft für den Betrachter. Bleibe stehen, setze Dich hin! Bleibe sitzen und schaue auf das Bild, lange, als würdest Du selbst auf dem Stein am Meer sitzen und die Wellen betrachten und die Atmosphäre einatmen.
Wenn man gleich weiter will, dann ist man nervös. Dann erfasst und versteht man nichts. Das Herz öffnet sich langsam, wie die Blüte einer Blume. Man muss ihr Zeit geben. Wer keine Zeit hat, soll in der Stadt bleiben. Das Meer hat viel Zeit. Sehr viel Zeit. Wenn Du sitzen bleibst und nichts mehr willst, hast Du sofort die Ewigkeit. Mehr brauchst Du nicht.
Das Meer ist die Ewigkeit!
Dieses Gemälde (89x100cm) ist von Patrick von Kalckreuth, das ich 2014 bei einem Antiquitätenhändler erworben habe. Es zeigt eine naturalistische Szene am Meer. Die untergehende Sonne reflektiert auf den heranrollenden Wellen, auf dem Wasser im Uferbereich. Das Gemälde wurde 1951 gemalt. Schon damals war die Zeit der naturalistischen Malerei längst vorbei, heute mehr denn je. Aber warum eigentlich? Und wer bestimmt das, und warum? Welches Interesse will bestimmte Arten von Malerei auf eine Zeit festlegen? Und warum sollen die nachfolgenden Generationen nicht auch so malen „dürfen“? Ich denke, dass man so malen kann und sollte, wie man es für richtig hält.
Meeresbrandung, Patrick von Kalckreuth, 1951
Von den Kunstbewertern und ihren arroganten, apodiktischen Beurteilungen halte ich nichts.
Warum sollte man sich nicht dem Meer naturalistisch nähern?
Die Natur ist und bleibt sowieso das, was sie immer war. Sie wird sich nie ändern. Alle Versuche des Menschen werden letztendlich nichts bewirken. Das Meer, die Wellen, die Wolken, die Winde, der Sand, die Steine, das Wasser, die Möwen, die Sonne – alles wird so bleiben. In der naturgetreuen Malerei dokumentiert sich das genaue Hinsehen, die Achtsamkeit für das, was dort real vor den Augen ist und sich abspielt. Während des Malens widmet man sich über einen längeren Zeitraum den realen Details, man will sie so wahrnehmen, wie sie sind. Nicht die eigenen Gefühle und Stimmung sind so wichtig, schon gar nicht die Gedanken, sondern die äußere Realität, die immer eine größere und weitere Dimension des Daseins und des Lebens ist als unsere kleine individuelle Begrenztheit. Somit könnte man sagen, dass es bei dieser Malerei um Entgrenzung geht, und mitnichten nur um platte Wiedergabe des Realen.
Künstler, die auf das Subjektive fixiert sind, mögen vielleicht keine Entgrenzung, sondern eher die Darstellung des Besonderen, des Individuellen. Auch ein Weg, keine Frage. Aber nicht der einzige. Das Meer ist immer jenseits des Individuellen und Begrenzten.
Emil Nolde und das wilde, bedrohliche Meer
Ein bekannter deutscher, expressionistischer Maler ist Emil Nolde. Er ist sehr beliebt, immer wieder gibt es Ausstellungen und neue Bildbände. Er gilt irgendwie als ein Prototyp des modernen Künstlers. Vielleicht denken viele, dass sie bei Nolde genau sagen können: Das ist Kunst!, wohingegen sie bei naturalistischen Malern oft selbst nicht entscheiden können, ob es sich nun um Kunst handelt oder nicht.
Aus rechtlichen Gründen kann ich keine Gemälde von Emil Nolde abdrucken. Aber im Internet findet man schnell viele Bilder vom Meer, Ölbilder und Aquarelle.
Was sofort auffällt, das ist die sehr intensive Farbgebung. Es geht vor allem um die Farbe. Die Struktur der Wellen, die Weite des Meeres sind da eher unwichtig. Je intensiver die Farbe, desto besser. Wer die Nordsee kennt, fragt sich sofort, um welches Meer es sich bei Nolde handelt. Ist es sein eigenes, inneres, wildes, elementares Meer? Ist es ein Gefühlsmeer?
Oder ist es doch die Südsee, die man mit den intensiven Farben verknüpfen könnte? Oder sind es Rauschzustände, die hier gemalt werden?
Wenn man die Realität als Maßstab nimmt, dann ist bei Emil Nolde alles übersteigert dargestellt. Seine Popularität bei vielen Leuten passt für mich nicht so recht zu der Thematik des Rausches, denn kaum jemand dürfte das Meer so erleben und erfahren, wie er es malt. Die meisten Menschen lehnen den Rausch ab, es sei denn, es handelt sich um den Alkoholrausch. Rausch hat im bürgerlichen Weltbild keinen Stellenwert, aber Emil Noldes Rauschbilder findet man gut. Das kommt mir wie eine Kompensation vor, also ein Ausgleich zu der sonst gelebten Normalität. Vielleicht ist er deshalb so populär, weil er den Bürgern diese eruptive Farbekstase als Ausgleich bietet.
Die politische Position von Emil Nolde soll hier nicht groß interessieren, obgleich es mir eigenartig vorkommt, dass er offensichtlich mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatte, aber sein individualistisch expressiver Malstil gar nicht zu den biederen Kunst-Vorstellungen der Nazis passte.
Noldes Meer ist wild, sehr wild, eine Urgewalt, die von nichts und niemandem beherrscht werden kann. Das Meer ist tatsächlich eine Urgewalt der Natur.
Der Kunsthistoriker Max Sauerlandt schreibt 1921: Nolde sieht das Meer »nicht vom Strande oder vom Schiffe aus, er sieht es so, wie es in sich selbst lebt, losgelöst aus jedem Bezug auf den Menschen, als das ewig regsame, ewig wechselvolle, ganz in sich selbst sich auslebende, in sich selbst sich erschöpfende göttliche Urwesen, das bis heute noch die ungebändigte Freiheit des ersten Schöpfungstages sich bewahrt hat«.
(Infotext zu dem Buch Emil Nolde, Das Meer, Dumont)
Der Mensch ist in der Tat bei Noldes Meeresbildern nicht wichtig. Er ist gar nicht vorhanden. Das mythologische Urwesen, das keinen Namen hat und dem man wohl auch keinen geben kann, steht ganz im Zentrum. Das Urwesen kann auch destruktiv sein. Vernichtend, alles Leben verschlingend. Die große Welle kann alles unter sich begraben. Man betrachte dazu seine Wellenbilder (z.B. Hohe Wogen, 1940; Hohe Sturzwelle, 1948).
Auch der Himmel wirkt oft apokalyptisch. Weltuntergangsstimmungen. Das Ende von Zeit und allem, was vorhanden ist. Das schwarze Loch verschlingt alles, ohne Rücksicht, ohne Erbarmen. (Vgl. Das Meer III, 1913)
Vielleicht hat Emil Nolde am Nationalsozialismus dieses eigentliche Streben nach Weltuntergang bewundert, denn nur scheinbar wurde eine neue Welt aufgebaut, am Ende lief alles auf Vernichtung und Auslöschung hinaus. Handelt es sich um eine Tendenz zum Suizid? Handelt es sich um eine kranke Sucht nach Tod, Vernichtung und Untergang? Bewundert man vielleicht sogar unbewusst genau das an Emil Nolde?
Hier ein Aquarell von mir nach dem Ölbild von Emil Nolde mit dem Titel „Hohe Sturzwelle“. Das Nachmalen von Bildern ist insofern eine interessante Übung, weil man sich in die besondere Stimmung des Malers versetzen muss. Wenn man selbst eher in einer anderen Stimmung ist, kann dies schwierig sein. Eine Sturzwelle kann wie eine zusammenstürzende Lebenssituation sein. Man wird unter der Wucht des Meeres, des Lebens, der Umstände begraben. Es geht also nicht so sehr um äußere Natur, die spiegelt nur die innere wider, sondern um vielleicht existenzbedrohende Situationen.
Eine andere existenzielle Situation zeigt das untere Aquarell nach Emil Nolde. Die hohen Wellen sind für den Menschen bedrohlich, denn sie können ihn verschlingen und es bleibt nichts von ihm übrig. Er verschwindet einfach im Großen Dunklen Ungeheuer des Meeres. Die Natur des Meeres wird immer größer sein als alles, was der Mensch jemals schaffen und bewirken kann.
Caspar David Friedrich gehört zu den romantischen Malern, den Träumen von einer anderen, poetischen und spirituellen Welt.
So sind auch meine eigenen Aquarelle.
Auf dem ersten ist ein Wanderfalke zu sehen, ein Krafttier im schamanischen Weltbild. An wilden Küsten findet der Naturmystiker viele besondere Plätze, für das bloße Verweilen und Meditieren, oder auch für Rituale.
Das bekannte Gemälde von C.D. Friedrich mit einem Wanderfalken
schamanischer Platz am Darßer Strand unter einer Kiefer
Die Realität seiner Heimatstadt war brutal. Die Zerstörungen des Krieges, die Bunker, die überall herum standen. Die Träume waren besser. Schon in seiner Kindheit gab er sich den Träumen hin. Schon damals lebte er in den Träumen. Wenn die Realität brutal ist, dann muss man träumen. Das ist logisch. Und so träumte er von anderen Welten.
Die Realität des Meeres seiner Heimatstadt war öde, eine Wasserödnis, der man nichts Schönes, Liebliches abgewinnen konnte. Langweiliges Gras, Steine und viel Beton.
Der Beton ist so typisch für die moderne Welt. Was ist nicht...