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E-Book

Grenzwertig

Aus dem Leben eines Dopingdealers

AutorManfred Behr, Stefan Matschiner
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783864131288
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Tarnen, Täuschen, Dopen - die Parallelwelt Leistungssport Stefan Matschiner. Fünf Jahre lang war der frühere Leichtathlet 'die Spinne im Dopingnetz' (Frankfurter Allgemeine Zeitung), versorgte Sportler in ganz Europa mit allem, was das Athletenherz begehrt - und verboten ist: EPO,Testosteron, Wachstumshormon, Designersteroide. Als erster Hintermann der Dopingszene legt Matschiner in seiner Biografie ein öffentliches Geständnis ab, weiht den Leser in die Geheimnisse des Blutdopings ein, reißt die Lügengebäude der Parallelgesellschaft Hochleistungssport nieder. Er deckt auf, klagt an und entlarvt Funktionäre, Politiker, Medien, die Gesellschaft als Mitwisser und Mittäter. Begleitet wird er von Sportjournalist Manfred Behr, der Matschiners Erlebnisse und Überzeugungen in Worte fasst und im großen Interview Skandaltrainer Walter Mayer zur Abrechnung gegen das System Leistungssport ausholen lässt. Nie zuvor hat ein Buch derart tiefe Einblicke in die erschütternde Realität des Dopingmissbrauchs im Spitzensport gewährt. Ein Muss für Sportfans und Insider.

Manfred Behr ist Sportjournalist und seit 2006 als Chefredakteur der österreichischen SportWoche tätig. Seit 1998 schreibt er über Doping, etwa über die Prozesse gegen Protagonisten des DDR-Staatssports.

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Leseprobe

»Kriminalpolizei! Aufmachen!«


Benson! Sitz! Uuund … bleib! Mein Großer Schweizer Sennenhund neigt zu Temperamentausbrüchen. Katzen, Spaziergänger, Briefträger oder nur das Läuten an der Eingangstüre – ihn vermag beinahe alles aus der Contenance zu bringen. Dass unser Haustier in den Morgenstunden des 31. März 2009 keine ruhige Minute hatte, kann ich aber auch heute noch gut nachempfinden. Ein Blick aus dem kleinen Toilettenfenster im oberen Stock meines Laakirchner Wohnhauses genügte, um zu erkennen, dass da etwas so gar nicht seinen gewohnten Gang nahm. Neun Männer vor dem Eingangstor, die ich erst nach und nach wahrnahm, weil sie sich hinter den Mistkübeln beziehungsweise hinter dem Hauseck versteckt hatten. An einem Dienstag, um 7.30 früh, in unserer Sackgasse, in die sich nur alle heiligen Zeiten das Auto eines Fremden verirrt. Das hatte was von Ausnahmezustand.

Es bedurfte nicht allzu viel detektivischer Kombinationsgabe, um mir den tieferen Sinn dieser Menschenansammlung zu erschließen. Diese neun Herren, das war mir sofort klar, gehörten zur Sonderkommission Doping des Innenministeriums, die im Januar 2009 gegründet worden war, um die Distributionskanäle der Dopinghändler im Breitensport, in den Kraftkammern und Fitnessstudios zu zerschlagen. Und um im Spitzensport aufzuräumen. Auftrag Nummer zwei dürfte die Beamten wohl zu mir geführt haben. Sie waren gekommen, um mir, der Spinne im Netz, wie mich die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnet hatte, das Handwerk zu legen. Die Begrüßung beseitigte die letzten Zweifel: »Herr Matschiner! Kriminalpolizei! Aufmachen!«

Unvorbereitet traf mich all das natürlich nicht. Einen Monat davor war, vermeintlich unbemerkt, ein Peilsender an der Bodenplatte meines Ford Kuga angebracht worden – wie auch am Ford Focus meiner Frau Sonia. Seither hatte ich das Gefühl, dass mein Mobiltelefon verrückt spielt. Es krachte, grammelte und in unschöner Regelmäßigkeit rissen die Gespräche – meist nach exakt vier Sekunden – überhaupt ab. Üblicherweise untrügliche Zeichen für den einen oder anderen ungebetenen Zuhörer. Zudem befand sich der frühere Sportdirektor für Langlauf und Biathlon im Österreichischen Skiverband (ÖSV), Walter Mayer, seit 22. März in Justizgewahrsam. Der Konnex zwischen ihm und mir war niemandem verborgen geblieben. Wir hatten auch nie auf Geheimhaltung Wert gelegt. Hinzu kam die Aussage von Lisa Hütthaler. Die im März 2008 positiv auf Dynepo getestete Triathletin hatte mich gegenüber den Ermittlungsbehörden nach rund siebenmonatiger Nachdenkpause als ihren Dopingbeschaffer geoutet. Und schließlich war da noch Bernhard Kohl, mein ehemaliger Schützling, der gefallene Radheld. Mir war klar, dass ich mich auf ihn wohl nicht mehr verlassen können werde, über den Grad seiner Kollaboration mit der Sonderkommission konnte ich zum damaligen Zeitpunkt aber nur mutmaßen.

Ich musste also auf jeden Fall mit einem Besuch der Behörden, aller Voraussicht nach sogar mit einer Festnahme rechnen. Diesen Moment wähnte ich bereits am 29. März gekommen, als ich nach meiner Rückkehr von einer Florida-Dienstreise im Zug von München nach Salzburg von deutschen Beamten in Zivil kontrolliert wurde. »Mein Gott, jetzt schaffe ich es nicht einmal mehr nach Hause«, schoss es mir ein. Ein Ausdruck meiner damaligen Verunsicherung, denn die Kontrolle stellte sich kurz darauf lediglich als Teil der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen im Zuge des NATO-Gipfels in Straßburg heraus.

Meine Nervosität hatte sich auch auf dem Flug von Tampa über Düsseldorf nach München bemerkbar gemacht. Üblicherweise hält es mich bei Transatlantikflügen kaum auf meinem Sitz, diesmal zog ich mir die Baseballmütze tief ins Gesicht und die Decke bis ans Kinn. Ich hatte schon beim Einsteigen ein riesiges Foto von mir in einer großformatigen deutschen Zeitung entdeckt ...

Zwei Tage nach diesen Schrecksekunden wurden meine Befürchtungen dann doch Realität. Noch am Vorabend hatte ich zu meiner Frau im Schlafzimmer gesagt: »Gut möglich, dass sie mich morgen in der Früh holen kommen. Ich glaube, wir sollten vielleicht noch …« Ich war mit dem morgendlichen Babydienst dran, war um sechs Uhr aufgestanden und hatte gerade unseren damals neun Monate alten Sohn Simon auf dem Arm, als die SOKO-Männer Einlass begehrten. »Was ist los?«, erwiderte ich ihre unmissverständliche Aufforderung, die Tür zu öffnen. Dabei blieb ohnehin wenig Spielraum für Interpretationen, zumal der Einsatzleiter mit dem Hausdurchsuchungsbefehl in der einen und dem Haftbefehl in der anderen Hand wedelte. »Schau, dass du das Kind abgibst«, hörte ich ihn als Nächstes sagen.

Der Moment der Festnahme ist keiner, den du wie eine Rolle auswendig lernen und dann, quasi bei der Premiere, fehlerlos abrufen kannst. Aber ich war gut präpariert, hatte mich unmittelbar nach der Rückkehr in Salzburg mit meinem Rechtsanwalt beraten. »Was sucht ihr denn überhaupt?«, machte ich gegenüber den Ermittlern auf kooperativ. »Das wirst du wohl selbst wissen«, entlarvte Einsatzleiter Franz Schwarzenbacher mein Angebot als reine Rhetorik. Ich konnte mich ruhigen Gewissens auf das Geplänkel einlassen, denn belastendes Material gab es bei mir ohnedies keines sicherzustellen. Die mich belastenden Computerdaten waren im Januar 2008 in Budapest bei einem Einbruch in mein Auto mitsamt meinem Notebook abhandengekommen oder längst von mir unwiderruflich mit einem Spezialprogramm gelöscht worden. Somit konnte ich auch der unvermeidlichen Frage nach meinem Laptop gelassen entgegensehen. Selbst wenn der nicht gerade wegen eines Festplattenschadens bei einer Computerfirma in Steyrermühl deponiert gewesen wäre. Ein Faktum, das den Beamten verdächtig erschien. Zwei rückten umgehend aus und erlebten in dem EDV-Laden einen herben Rückschlag. Die Festplatte war Minuten vorher formatiert worden, nur rund fünf Prozent der Daten konnten in der Folge rekonstruiert werden. Die von mir angebotene Sicherungs-CD, auf der alle Daten der vergangenen beiden Jahre gespeichert waren, hat merkwürdigerweise während des gesamten Ermittlungsverfahrens nie jemanden interessiert. Auch die Durchsuchung eines von mir genutzten Keller-Lagerraumes in einem Wohn- und Geschäftshaus in Steyrermühl erwies sich für die Fahnder nicht als der große Knaller. Wie denn auch, ich war in den zwölf Monaten vor der Verhaftung nie mehr dort gewesen.

Dass der Zugriff insgesamt kein spektakulärer Coup werden würde, ahnten wohl auch die SOKO-Leute. Der Anregung, bei meiner im unteren Geschoß lebenden damals 84-jährigen Oma doch bitte nicht zu neunt vorstellig zu werden, wurde prompt entsprochen. Man verzichtete sogar darauf, sie aufzuwecken. Für die alte Dame war die Situation nach Bekanntwerden des Dopingfalles Bernhard Kohl auch so schon belastend genug. Wiewohl sie, wie rund zehn weitere Personen aus meinem engsten Umfeld, durchaus Bescheid wusste über den nicht ganz so ehrbaren – aber notwendigen – Teil meiner Geschäftstätigkeit.

Das Entgegenkommen der Beamten war geradezu symptomatisch, die Sicherstellung von einer sehr korrekten, fast freundschaftlichen Atmosphäre geprägt. Vielleicht lag es an mir, an meinem guten Elternhaus, an meinem gefassten Auftreten. Die Beamten, fast ausnahmslos aus Suchtgiftdezernaten rekrutiert, waren, so schien es mir, durchaus erfreut, einmal mit nicht ganz so ruppigen Umgangsformen konfrontiert zu sein. Das freundschaftliche Miteinander gipfelte in einer etwas grotesken Situation. Man hatte mir, noch während die Hausdurchsuchung im Gange war, etwa 30 Minuten Zeit eingeräumt, mich von meiner Familie zu verabschieden und für die Überstellung ins Polizei-Anhaltezentrum Linz fertig zu machen. Nachdem die Beamten ihre Nachschau beendet hatten, kam einer der neun Ermittler, dem Dialekt nach zu urteilen aus dem inneren Salzkammergut stammend, und fragte ein wenig verlegen, ob ich für Bernhard Kohls signiertes Tour-de-France-Bergtrikot, das ihm im Rahmen der Hausdurchsuchung aufgefallen war, noch Verwendung hätte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verbeißen und machte dem Mann die Freude. Keine 30 Sekunden später stand der nächste Kohl-Verehrer vor mir. Er musste sich mit einem Jersey ohne Unterschrift begnügen. Ich hoffe, es ist beiden tatsächlich um den ideellen Wert gegangen, denn reich konnte man mit dem Textil nicht werden. Als ich Monate später mein allerletztes der gepunkteten Trikots bei E-Bay zu Geld machte, war es dem Höchstbietenden mickrige 71 Euro wert.

Den Rest der 30-minütigen Galgenfrist nützte ich für die Morgentoilette und eine Tasse Kaffee. Auch ein Anruf bei einem Vertrauten ließ sich noch einrichten. Das Telefon wurde mir erst nach Verlassen des Hauses abgenommen. Ansonsten beschäftigte mich die Frage, was denn für eine unbestimmte Zeitspanne im Gefängnis einzupacken sei. Ich orientierte mich an den Notwendigkeiten einer einwöchigen Urlaubsreise und lag damit selbstverständlich falsch. Mein erstes Fußballspiel hinter schwedischen Gardinen absolvierte ich mit geborgter Hose und geborgten Sportschuhen.

Dann war der Zeitpunkt gekommen, Abschied zu nehmen. Ein letzter Kuss, eine innige Umarmung zwischen Tür und Angel. Und ein paar Worte, mit denen ich uns allen Mut zusprechen wollte. »Ich bin bald wieder da, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut, wird schon nicht so lange dauern.« Zurück blieb meine Frau, der gegenüber ich nicht nur einmal allen Ernstes, und ich glaubte wirklich daran, beteuert hatte: »Ins Gefängnis gehe ich schon nicht.« Zurück blieb auch mein Sohn Simon, dem mein letzter Blick in Freiheit galt. Was ich sah, erleichterte mir die Zeit hinter Schloss und Riegel nicht gerade. Er hatte seine Hand nach mir ausgestreckt und ich glaubte in seinen Augen einen besonderen Ausdruck zu erkennen. »Warum...

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