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E-Book

Praktische Selbst-Empathie

Herausfinden, was man fühlt und braucht. Gewaltfrei mit sich selbst umgehen

AutorGerlinde R. Fritsch
VerlagJunfermann
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783955712518
FormatPDF/ePUB
KopierschutzDRM/kein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Wie können Menschen Beziehungen miteinander aufnehmen, die alle Beteiligten tief gehend bereichern? Was befähigt sie, vertrauensvoll und vorwurfsfrei miteinander umzugehen? Der Schlüssel hierzu ist Selbst-Empathie, um für sich selbst genauso wie für andere Mitgefühl zu entwickeln. Die Autorin, aus langjähriger psychotherapeutischer Praxis kommend, unterstützt die Leser und Leserinnen darin, offen zu werden für alle Erfahrungen des gegenwärtigen Augenblicks. Sie bietet praktische Hilfen an, um die eigenen Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse bewusst zu erkennen und liebevoll zu versorgen, selbst wenn das innere Erleben noch so turbulent ist. Viele lebensnahe Beispiele regen dazu an, eigene Möglichkeiten zu entwickeln, um den Kontakt mit sich und anderen so zu gestalten, dass sich die Schönheit des Lebens im alltäglichen Tun zeigen kann. Dieses lebendig geschriebene Arbeitsbuch bietet einen roten Faden auf der Suche nach dem ersten Schritt zu einem wertschätzenden Miteinander.

Gerlinde Fritsch, Studium der Psychologie und Pädagogik, Ausbildung in Familientherapie, Körperorientierter Tiefenpsychologie, Hypnosystemischer Therapie und Erlebnispädagogik. Seit 1991 niedergelassene Psychotherapeutin. Lebt in Hamburg und Dresden. <br /><a href="http://www.gerlinde-fritsch.de">www.gerlinde-fritsch.de</a>

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Leseprobe

1. Beobachtung – den Weg zu Gefühlen und Bedürfnissen bahnen


„90 % unseres Leides entsteht durch unsere Interpretationen.“
– M. B. Rosenberg

Kennen Sie das: Sie fühlen sich nicht gut, irgendetwas rumort in Ihnen, es geht Ihnen seelisch immer schlechter und Sie wissen nicht warum? Oder ein konkretes Ereignis ist gegenwärtig und wühlt in Ihnen. Sie grübeln, spielen Details des Geschehens immer wieder durch, stellen Analysen über die Beteiligten an. Die Gedanken wirbeln durcheinander oder treten auf der Stelle, die Gefühle fahren Achterbahn. Und alles in Ihnen sehnt sich danach, wieder durchatmen, wieder klar sehen zu können. Wie aber kommt man dahin?

Ohne ein Werkzeug ist das nicht leicht. Ich lade Sie ein, als ersten Schritt in Richtung Klarheit zunächst herauszufinden, was Ihre Gefühle und Gedanken ausgelöst hat. Womit genau fing es an? Was konkret ist Ihnen unter die Haut gegangen? „Die Depression begann einfach so; plötzlich war sie da“, höre ich immer wieder in meiner Psychotherapiepraxis. Kein Gefühl fällt jedoch vom Himmel, es wird immer von etwas ausgelöst. Das kann ein äußeres Ereignis sein. Doch oftmals genügt allein ein Gedanke, sodass ein Gefühl entsteht. Den Auslöser herauszufinden grenzt das Suchfeld für das, was in Ihnen los ist, überschaubar ein.

Auslöser für Gefühle

  • äußere Auslöser (objektive Tatsachen, sinnlich wahrnehmbare Ereignisse, gegenständliche Welt, verbale/nonverbale Äußerungen, sichtbares Verhalten)
  • innere Auslöser (Gedanken, Erinnerungen, Vorstellungen, Fantasien, Einbildungen, Befürchtungen, Interpretationen, Bewertungen, Unterstellungen)

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, S. 37f.)

Um den Auslöser für den Schmerz zu erkennen, ist es hilfreich, Tatsachen und Interpretationen voneinander zu unterscheiden. Dies geschieht mittels der Beobachtung. Beim Beobachten gilt es, sehr schlicht, sehr einfach und sehr nüchtern in der Wahrnehmung zu werden und sachlich-objektiv zu beschreiben[1]: Was genau tut oder sagt jemand? Was genau ist passiert?

Bei der Beobachtung werden Tatsachen beschrieben, ohne in die Wahrnehmung hineinzumischen:

  • Interpretationen
  • Bewertungen
  • Beurteilungen
  • Deutungen
  • Fantasien
  • Analysen über Eigenschaften, den Charakter oder das Wesen von Menschen
  • Diagnosen
  • Rückschlüsse über Absichten, Motive oder Gedanken des Handelnden

Hilfreich können diese Fragen sein:

  • Was genau sehe, rieche, höre ich?
  • Wer tut oder sagt konkret was, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, in einer spezifischen Situation?

Wertungsfreie Beobachtungen (im Vergleich zu Interpretationen, Bewertungen, Urteilen) sind z.B. folgende Aussagen:

  • „Ich habe ihn um Rückruf gebeten und keinen Anruf erhalten“ statt: „Er hat nicht zurückgerufen“ (Er hat vielleicht zurückgerufen, aber keine Nachricht hinterlassen, oder die Technik hat versagt und den Anruf nicht aufgezeichnet).
  • „Ich finde die Datei nicht mehr“ statt: „Die Datei ist verschwunden“.
  • „Sie hat gesagt, ich tauge zu nichts“ statt: „Sie hat mich beschimpft“.
  • „Er hat nach 22 Uhr an der Tür geklingelt, obwohl ich ihn gebeten hatte, den Schlüssel zu benutzen“ statt: „Meine Bitten sind ihm völlig gleichgültig“.
  • „Sie trat nach dem Hund“ statt: „Sie misshandelte den Hund“.
  • „Ich habe gestern Abend dreimal versucht, ihn zu erreichen“ statt: „Ich habe den ganzen Abend versucht, ihn zu erreichen“.
  • „Ich habe meine Ausführungen nicht in einem Durchgang machen können, weil sie mehrmals begonnen hat zu sprechen, bevor ich fertig war“ statt: „Sie ist mir ständig ins Wort gefallen“.
  • „Er hat weder einen meiner Lösungsvorschläge angenommen noch selber einen gemacht“ statt: „Er will nicht wirklich eine Lösung“.
  • „Sie hat mit der Abteilungsleiterin über mich gesprochen und ihr mitgeteilt, dass ich zum vierten Mal eine halbe Stunde nach Dienstbeginn in die Firma gekommen bin“ statt: „Sie ist intrigant“.
  • „Er hat mir mehrmals gesagt, dass er mich nicht für geeignet hält“ statt: „Er hat die Absicht, mich fertigzumachen“.
  • „Ihre Frisur und die Farbzusammenstellung ihrer Kleidung gefallen mir nicht“ statt: „Sie ist hässlich“.
  • „Als ich in den Klassenraum kam, sah ich, wie ein Schüler ein Buch aus der Tasche eines Mitschülers zog“ statt: „Ich erwischte ihn beim Klauen“.

Wahrnehmbare Tatsachen sind:

  • das Verhalten anderer Wesen
  • die Worte anderer Menschen
  • der körperliche Ausdruck anderer Wesen
  • Ihr eigenes Verhalten
  • Ihre eigenen Worte
  • Ihre eigenen Körperreaktionen

Keine wahrnehmbaren Tatsachen sind:

  • die Gedanken anderer Menschen
  • die Motive oder Absichten anderer Menschen
  • die Gefühle anderer Menschen
  • die Bedürfnisse und Wünsche anderer Menschen
  • der Charakter anderer Menschen

Die Beobachtung erfordert den Verzicht auf jegliche „Deutungshoheit“, indem man anerkennt, dass Ereignisse (oder Verhaltensweisen) vieldeutig sind. Man selbst maßt sich nicht an, das Geschehen zu beurteilen.

Zu Beginn der neunziger Jahre sah ich auf der Straße eine Frau, die mir den Rücken zukehrte, laut sprach und lachte, ohne dass ich jemanden in ihrer Nähe sah. Ich war ausgesprochen irritiert. Führte sie Selbstgespräche? Halluzinierte sie? War sie gar psychotisch? Nach einer Weile sah ich, dass sie in ihre Hand sprach. Es war das erste Mal, dass ich jemanden sah, der ein Mobiltelefon benutzte ...

Der Verzicht auf Deutungen bzw. Interpretationen hat große Vorteile, vermag doch eine Fokussierung allein auf die Fakten schon manch inneres Leid zu reduzieren, indem quälende Fantasietätigkeit in ihre Schranken gewiesen wird.

Ein Designer, der an einem meiner Seminare teilgenommen hatte, berichtete, dass sein Chef seine Arbeit mit den Worten kommentiert habe: „Das hätte auch ein technischer Zeichner zeichnen können.“ Der Angestellte bemerkte, dass ihm sofort Gedanken kamen, die bei ihm typischerweise in eine depressive Episode mündeten. Er identifizierte diese Gedanken als Bewertungen. Aus dem einfachen Satz des Chefs hatte er gemacht: „Sie sind komplett unfähig! Sie sollten den Beruf wechseln!“ Mit letzter Kraft zwang er sich, auf die Fakten zu schauen („Was ist die Beobachtung? Was hat mein Chef gesagt?“). Ihm wurde klar, dass der Chef lediglich seine Arbeit und nicht ihn selbst kommentiert hatte und dass er mit dem Arbeitsergebnis nicht zufrieden war. Danach stellte er fest, dass er seinem Chef zustimmte – ihm selbst gefiel sein Produkt auch nicht. Er konnte seine wiedergewonnene Energie nutzen, um seine Arbeit zu verbessern.

Falls Sie nun glauben, dass Sie in Zukunft auf Interpretationen verzichten sollten: Es geht nicht erstrangig darum, nicht mehr zu interpretieren, zu bewerten oder zu urteilen – das werden Sie kaum verhindern können –, sondern vielmehr darum, sich bewusst zu werden, dass man interpretiert, urteilt, bewertet, unterstellt ... Das Ziel ist, Beobachtung und Interpretation/Bewertung zu trennen. Was man mit den herausgefilterten Bewertungen anfangen kann, lesen Sie im nächsten Kapitel.

Als Marshall Rosenberg beim Volksstamm Orang Asli in Malaysia eingeladen war, teilte ihm sein Übersetzer mit, dass seine Sprache das Verb ,sein´ nicht enthalte; darum gebe es keine Formulierungen wie „Du ,bist‘ gut, schlecht, richtig, falsch“. Rosenberg fragte den Übersetzer: „Wie übersetzt du dann ,Du bist egoistisch‘?“ „Das ist schwer. Ich würde es in meine Sprache übersetzen mit ,Marshall sagt, dass du für deine Bedürfnisse sorgst,...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Inhalt6
Vorwort8
Einfu?hrung10
1. Beobachtung – den Weg zu Gefu?hlen und Bedu?rfnissen bahnen12
2. Bewertungen und Urteile – verborgene Geschenke18
3. Gefu?hle – Zeichen der Lebendigkeit22
3.1 Pseudo-„Gefu?hle“ und Gefu?hle unterscheiden25
Exkurs: Wie entstehen Gefu?hle?28
3.2 Gefu?hle wahrnehmen31
3.2.1 Welchen Sinn es macht, Gefu?hle wahrzunehmen31
3.2.2 Gefu?hle körperlich-sinnlich spu?ren34
3.2.3 „Gefu?hlskartografie"35
3.3 Gefu?hle intensiver spu?ren57
4. Bedu?rfnisse – der Ursprung von Gefu?hlen und Verhalten58
4.1 VomDenken zum Bedu?rfnis: Urteile und Pseudo-„Gefu?hle“ nutzen64
4.2 Vom Gefu?hl zum Bedu?rfnis: Gefu?hle nutzen69
4.3 Vom Verhalten zum Bedu?rfnis: Strategien nutzen73
4.4 Von wahrgenommenen Bedu?rfnissen zum relevanten Bedu?rfnis: Bedu?rfnisse nutzen78
5. Strategien und Bitten – bedu?rfnisorientiert handeln84
5.1 Bedu?rfnisse versorgen: Strategien-Ideenbörse fu?r ausgewählte Bedu?rfnisse86
5.2 Das Leben verschönern: die Bitte – eine Strategie fu?rs Hier und Jetzt113
6. Selbst-Empathie – ganz praktisch116
6.1 Notfall-Selbst-Empathie: herausfordernde Gefu?hle und Verhaltensimpulse bewältigen118
6.2 Der ganze Prozess der Selbst-Empathie122
6.2.1 Allgemeine Selbst-Empathie122
6.2.2 Spezielle Selbst-Empathie138
Schlussbemerkungen und Ausblick151
Dank154
Literatur155

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