4. Die Heilmittelrichtlinie
4.1 Die Chronologie der HMR
Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse haben Anspruch auf die Versorgung mit Heilmitteln. Dies ist im SGB V §32 geregelt. Die HMR bestimmt die Versorgung der Mitglieder im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung mit Heilmitteln. Regelungen für die Verordnung von Heilmitteln gibt es seit geraumer Zeit, vor allem wenn Einsparungen im Gesundheitssystem anstanden. Diese wirtschaftlichen Zwänge werden auch die Physiotherapie von morgen beschäftigen. Deshalb ist es wichtig, die Entstehung und den Verlauf zu betrachten.
In den 70er Jahren gab es die ersten „Kostendämpfungsgesetze“, die aber nicht zu der erhofften Senkung der Ausgaben führte, sondern nur zu deren Verschiebung.
Das Gesetz zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit in der Krankenversicherung trat 1982 in Kraft. Das Krankenversicherungs- Ergänzungsgesetz (KVEG) wurde schon bereits 1980 gefordert. Das Gesetz beinhaltete unter anderem die Erhöhung der Heilmittel- Zuzahlungen. Bereits ein Jahr später wurden die Zuzahlungen für Heilmittel nochmals erhöht. Grundlage war hier das Haushaltsbegleitgesetz von 1983. Die Haushaltsbegleitgesetze dienen noch heute dem Staat oder Ländern mit dem Ziel der Konsolidierung der Finanzen.
Mit dem Gesundheits-Reformgesetz vom 1.Januar 1989 wurde das Fünfte Buch in die Sozialversicherung eingegliedert. Ziel des Gesetzes war es, vor allem Einsparungen im Bereich der Arzneimittel, Heil- und Hilfsmittel zu erreichen. Diese Maßnahmen sollten einen größeren Spielraum für die Prävention und die Pflege zur Verfügung stellen. Damit wurde auch erstmals die Gesundheitsförderung und Prävention in den Leistungskatalogen der GKV integriert. Zu den wesentlichen Neuerungen zählen unter anderem die Leistungen zur Förderung der Gesundheit, zur Früherkennung von Krankheiten, Leistungen bei Schwerpflegebedürftigkeit und die Kostenerstattung bei kieferorthopädischen Behandlungen.[30]Diese Einsparungen führten im Bereich der Heilmittel dazu, dass Patienten eine 10% Zuzahlung pro Verordnung leisten mussten.
Im Bundesanzeiger veröffentlichte der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen am 29. September 1992, „die Richtlinie über die Verordnung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung („Heilmittel- und Hilfsmittel-Richtlinien“)“.[31]Diese Richtlinie erfuhr am 18.Februar 1998 eine Änderung, die dann am 27.Juni 1998 in Kraft getreten ist.
Die Vereinigung beider deutschen Staaten gestaltete sich anfangs schwierig. Im Bezug auf die Krankenversicherung musste doch das westdeutsche Krankenversicherungsgesetz auf die neuen Bundesländer übertragen werden. 1993 trat das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) in Kraft. Es kam in vielen Bereichen der Gesundheitsversorgung zur Budgetierung, unter anderem auch bei den Heilmitteln.
Am 1. Januar 1997 trat das Gesetz zur Entlastung der Beiträge der Krankenversicherung in Kraft. Es sah vorrangig Erhöhungen von Beiträgen und weitere Zuzahlungen der Versicherten vor. In diesem Zuge wurde am 1.Juli 1997 das 1. und 2. GKV- Neuordnungsgesetz verabschiedet. Die Krankenkassen erhielten mehr Spielraum, d. h. die Kassen erhielten die Möglichkeit der Differenzierung des Leistungsangebotes.[32]Beispielsweise erhöhten sich die Zuzahlungen von 10 auf 15% für Heilmittel. Das Beitragsentlastungsgesetz sowie die Neuordnungsgesetze bildeten die Basis für die noch erwartete dritte Stufe der Gesundheitsreform. Bis hierhin konnte die Bilanz dieser Maßnahmen nicht den gewünschten Effekt erzielen. Die AOK äußerte: „Trotz der erhöhten Selbstbeteiligung der Patienten stieg der durchschnittliche Beitragssatz der Krankenkassen von 13,5% im Jahre 1996 auf 13,6 % im Jahr 1997.“[33]Fazit dieser Neuordnung ist leider nur die Verschiebung von Kosten, wie es in den 70er Jahren schon geschah.
Anfang 1998 wurde vom Bundestag das GKV-Finanzstärkungsgesetz verabschiedet und danach folgte noch 1999 das GKV-Solidaritäts- Stärkungsgesetz. Der Gesetzgeber strebte nach einer Möglichkeit der langfristigen Entschuldung und gleichzeitiger Stabilisierung der Krankenkassen. Beispielsweise mussten Ärzte Rückforderungen hinnehmen, wenn sie ihre Budgets z.B. für Heilmittel überschritten. Im Gegenzug wurden viele Zuzahlungen gemindert oder sie fielen gänzlich weg.
Am 1. Januar 2000 trat die Gesundheitsreform in Kraft. Im Vorfeld gab es unzählige Diskussionen und Probleme. So konnte das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung nur in abgemilderter Form eingeführt werden. Es wurden u.a. Ergänzungen im Sozialgesetzbuch V vorgenommen, z.B. der §135, der die Qualitätssicherung der Leistungserbringer im Gesetzbuch verankert.
Am 1.Juli 2001 traten die Heilmittelrichtlinien (HMR) in Kraft. Diese Form der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist noch heute die Grundlage der Verordnung von Heilmitteln in der Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie. Wesentlicher Bestandteil der HMR stellt der Heilmittelkatalog dar. In ihm werden die Verordnungsgrundsätze wie z.B. Leitsymptomatik, Behandlungsziel und Verordnungsmenge vorgeschrieben.
Daraufhin wurde 2002 ein Gesetzestext verabschiedet, der die Ablösung der Arznei- und Heilmittelbudgetierung beinhaltete. Kassen und kassenärztliche Vereinigungen sollten Zielvereinbarungen für die Versorgung der Versicherten aushandeln. Auch die Versorgung der Heilmittel sollte zukünftig fachspezifisch dargestellt werden. Kurze Zeit später wurde das neue Fallpauschalengesetz zur Finanzierung der Krankenhäuser intergiert. Die Grundlage der Behandlung von Versicherten stellten die DRG´s (Diagnosis Related Groups) dar.
Zum 1. Januar 2004 trat das GKV- Modernisierungsgesetz, mit dem Ziel, die Qualität und Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens zu steigern, in Kraft. Davon betroffen waren auch die Heilmittel. Ein Patient musste für die Verordnung 10 Euro und 10% der Heilmittelkosten zuzahlen. Im Zuge des Modernisierungsgesetzes kam es zur Gründung des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Die Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und der G-BA installierten auf Grundlage des SGB V §139a ein unabhängiges, fachliches Instrument zur Beurteilung des deutschen Gesundheitssystems.[34]
Nach nur 3 Jahren kam es zur ersten Überarbeitung der Heilmittelrichtlinie. Sie trat am 1.juli 2004 in Kraft. Die Begründung zur Änderung liegt in der Anpassung des zweckmäßigen und wirtschaftlichen Handelns mit der Verordnung von Heilmitteln. Die Bundesregierung wollte ca. 700 Millionen Euro einsparen und das nur allein bei den Heilmittelerbringern.
Im Februar 2007 wurde das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) beschlossen. Das Gesetz sieht zentral einheitliche Beitragssätze für 2009 vor (Gesundheitsfonds). Viele der beschlossenen Elemente treten zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft.
Nach langen Diskussionen setzt der G-BA die neue Heilmittel-Richtlinie um. Sie tritt am 1.Juli 2011 in Kraft. Sie basiert immer noch auf dem Format der Heilmittelrichtlinie von 2001. In der Chronologie von fast 30 Jahren Heilmittelrichtlinie spielen viele Faktoren und Prozesse des Gesundheitssystems eine Rolle. Die Einbettung in das SGB V oder die Einführung des G-BA als Gremium sind nur Beispiele der Komplexität der Strukturen des Gesundheitssystems. Sie alle stehen auf den Prüfstand der Wirtschaftlichkeit im Wandel der Gesellschaft in Deutschland und der aktuellen globalen Prozesse.
4.2 Die wichtigsten Veränderungen der Heilmittel-Richtlinie und deren Einfluss auf die Verordnung von physikalischen Heilmitteln
4.2.1 Die Heil- und Hilfsmittelrichtlinie von 1992
Wie schon bereits in der Chronologie der HMR beschrieben, begann die Entstehung einer Reglementierung schon 1992. Die erste Richtlinie über die Verordnung von „Heil- und Hilfsmitteln“ war Bestandteil von Kostensenkungsmaßnahmen im Gesundheitssystem der neunziger Jahre. Im Bundesanzeiger unter der Nr. 183 b vom 29. September 1992 wurde die „Richtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Versorgung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung“[35] veröffentlicht. Sie trat am 1.Oktober 1992 in Kraft. Die vom BA der Ärzte und Krankenkasse beschlossene Richtlinie basiert auf den §92 und §138 des SGB V. Inhaltlich besteht die Richtlinie aus mehreren Abschnitten mit nummerierten Unterpunkten. Die Heilmittel werden hier nur durch die Maßnahmen der physikalischen Therapie und der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie (Ergotherapie) vertreten.
Diese Richtlinie wurde zuletzt am 18. Februar 1998 geändert und trat am 27.Juni 1998 in Kraft. Da es in dieser Änderung vorrangig nur um die Hilfsmittel (Sehhilfen) ging, wird der Autor nicht weiter darauf eingehen.
4.2.2 Die Veränderung der HMR von 2001 gegenüber 1992
Am 1.Juli 2001 trat die Neufassung der Heilmittelrichtlinie in Kraft. Neu war der sogenannte...