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Abgespeist

Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können

AutorThilo Bode
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783104001210
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Gift in Lebensmitteln ist legal, Konsumenten werden systematisch betrogen. Gesunde Lebensmittel, die nicht die Umwelt zerstören, gibt es nur für Leute mit Geld. Dagegen können sich Verbraucher nicht wehren - schon gar nicht mit einer »Politik des Einkaufswagens« - denn sie sind recht- und machtlos. Die Ursache dafür ist nicht die viel gescholtene 'Geiz- ist Geil'- Mentalität der Verbraucher, sondern verantwortlich sind die Regeln des Lebensmittelmarktes, die vor allem den Interessen der Nahrungsmittelindustrie dienen. Der Umwelt- und Verbraucherschutzaktivist Thilo Bode rollt erstmals die politischen Hintergründe dieser Zustände auf. Er fordert Verbraucherrechte als fundamentale Bürgerrechte und zeigt was sich politisch ändern muss. Sein Appell: Verbraucher müssen sich gemeinsam zur Wehr zu setzen und für ihre Rechte kämpfen.

Thilo Bode, geboren 1947, studierte Soziologie und Volkswirtschaft in München und Regensburg. 1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, 1995 von Greenpeace International. 2002 gründete er die Verbraucherrechtsorganisation foodwatch, um Täuschung und Gesundheitsgefährdung im Lebensmittelmarkt zu dokumentieren sowie die Schwachstellen in der Gesetzgebung aufzudecken. Bei S. FISCHER erschienen seine Sachbücher »Die Diktatur der Konzerne. Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören« (2021), »Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen« (2010) und »Abgespeist. Wie wir beim Essen betrogen werden und was wir dagegen tun können« (2007). Er lebt in Berlin.

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Leseprobe

Wir Verbraucher werden über Produkte nicht wirklich informiert und haben kein Recht auf Information. Wir werden beim Einkauf belogen, betrogen und bewusst getäuscht.

Kapitel 2 Irreführung im Supermarkt


Der Supermarkt ist ein Ort, der uns angeblich kostbare Zeit schenkt. Wir kommen nicht umhin, Lebensmittel dort zu erwerben, weil es eben dort »alles« in kürzester Zeit zu kaufen gibt. Um Zeit geht es bei uns immer, um das knappste Gut von Erwachsenen. Wir, das sind die Verbraucher. Bei Lebensmitteln haben wir keine Wahl, wir können nicht anders, als Zeit aufzuwenden, denn wir müssen essen und trinken. Das wissen auch die Betreiber jener Konsummärkte, in denen es um das Nötige, ja, um das Grundsätzliche geht: um Nahrung, um Getränke, um das, was der Mensch zwingend braucht, um überhaupt existieren zu können. Der Supermarkt, wir kennen das alle aus eigener Erfahrung nur zu gut, lockt mit Zeitersparnis. Manchmal sogar mit der Versicherung, man bekomme eine gewisse Summe Geld als Gutschein spendiert, müsse man länger als fünf Minuten in einer Kassenschlange warten. Das ist nur selten der Fall – aber die Verlockung steht symbolisch für das Prinzip Supermarkt schlechthin: Alles muss schnell gehen. Im Lebensmittelmarkt mögen wir nicht lange sein – im Unterschied zu Einkaufsstätten von Artikeln, die nicht zum täglichen Bedarf zählen, etwa Kosmetika, Elektrowaren, Haushaltsgeräte, Möbel, Autos. Der Supermarkt ist der große Bequemmacher in der Nahrungskette – an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelproduzenten und Verbrauchern. Wer in einem Supermarkt nicht das Gewünschte findet, hat keine unmittelbare Alternative. Geht deshalb nicht – weil zeitraubend – noch woanders hin. Doch die »geschenkte« Zeit hat ihren Preis. Die Minuten und Stunden, die wir in einem Supermarkt verbringen, empfinden wir nicht als Lust oder Vergnügen, sondern als unentrinnbares Übel.

Und das, obwohl ein Supermarkt angerichtet ist wie eine leibhaftige Verkörperung vom Land, in dem Milch und Honig fließen, ein Schlaraffenland, von dem unsere Vorfahren nur träumen konnten. Ein Warenfluss, der beinahe überquillt und mit Warenflüssen anderer Supermärkte konkurriert. Alle Supermärkte leben von Verführung – und von Täuschung. Und wir, die Verbraucher, sind die Objekte der Verführung: Wir sind es, deren Wichtigstes man will: Geld. Informationen und Aufklärung über das, was gut ist, was sich hinter den Produkten verbirgt, erhalten wir keine. Wir stellen nur Irrsinn fest: Katzenfutter ist teurer als Schnitzel, Hundekost teurer als Babynahrung. Wir müssen uns in Supermärkten ausschließlich auf unsere Gefühle verlassen. Ein Paradies für Konsumenten bleiben Supermärkte trotzdem. Es ist einfach zu verlockend, dort fast alles zu bekommen – und nicht stundenlang verschiedene Fachgeschäfte besuchen zu müssen.

Doch wer einen Supermarkt verlässt, dem bleibt oft ein ungutes Gefühl: Mein Einkaufskorb ist voll, aber was ist wirklich drin? Das Gefühl trügt nicht. Ein Gang durch den Supermarkt beweist: Wir Kunden werden mit unserem Bedürfnis, gut einzukaufen und uns gut zu ernähren, im Stich gelassen – Orientierung erhalten wir nicht.

Im Supermarkt wird nichts dem Zufall überlassen, damit die Verführung von uns Konsumenten gelingt. So ähnelt die Obstund Gemüseabteilung gelegentlich eher einem Bauernhof oder einer«Frischeplantage« als einer Supermarktabteilung. Die Auslagen sind nicht planlos mit grünem Dekorationspapier ausgelegt – grün ist die Farbe, die der Kunde mit Frischem, mit Natürlichem, mit Naturhaftem assoziiert.

Produkte, die gute Gewinnmargen bergen, sind mittig, in der Höhe der greifenden Hände angeordnet; Produkte, die preisgünstiger sind und doch die gleiche Qualität aufweisen, finden sich in unteren Regalfächern, »Bückware« genannt. Lebensmittelhersteller, die ihre Produkte in Griffhöhe platziert haben möchten, müssen dafür bezahlen – sonst wandern sie in höhere oder niedrigere Regalbereiche. Auch Licht wird verkaufsfördernd eingesetzt. Vor allem Wurst-, Fleisch- und Käsetheke sind in den Supermärkten gehobener Preisklasse verführerisch illuminiert. Die Lichtfrequenz ist so ausgewählt, dass die Fleisch- und Wurstware appetitlich rosa-frisch und nicht grau erscheinen. Psychologisch sind wir Kunden, in Marktforschungen ausgehorcht, perfekt durchgescannt. Da die meisten Menschen rechtshändig sind, weiß man, dass sie alle einen leichten Rechtsdrall in ihren Alltagsbewegungen haben, also auch im Supermarkt. Gegen den Uhrzeigersinn soll der Kunde gehen – das verschleppt sein Tempo ein wenig. Zuerst durch die Gemüse- und Obstabteilung, in der Mitte soll er auf die Molkereiwaren treffen, am Ende auf alkoholfreie Getränke, Alkohol jedoch steht nicht unmittelbar im Kassenbereich. Das, weiß die Kundenforschung, schätzt der Verbraucher nicht so sehr, muss er seinen Schnaps nah der Kasse in den Einkaufswagen stellen. Er könnte von anderen missliebig beobachtet werden. Filialleiter sind gehalten, regelmäßig ihre Regale umzusortieren: Der Kunde möge stetig leicht irritiert werden, denn solange er sich im Laden aufhält, ist er kaufbereit – muss ein Kunde suchen, so findet er nicht allein das Gewünschte, sondern auch noch anderes. Frauen allerdings sind unentschlossener, offener für Neues als Männer: Ungeklärt ist für Supermarktforscher nach wie vor, wie man Männer quasi dazu umerziehen kann, ohne präzisen Einkaufszettel in den Supermarkt zu gehen. Denn die meisten Männer kaufen zum Kummer der Supermarktstrategen absichtsvoll mit einem inneren oder echten Einkaufszettel ein – nehmen sich jedenfalls keine Zeit, um sich von anderen Produkten verführen zu lassen.

Der Laden, der alles bietet, was früher an einzelnen Marktständen oder im Fachhandel zu erwerben war, ist eine amerikanische Erfindung aus dem späten 19. Jahrhundert, obendrein eine, die in der Metropole aller Metropolen, in New York zuerst ausprobiert wurde. In Deutschland öffneten erstmals in den frühen fünfziger Jahren Lebensmittelgeschäfte als Selbstbedienungsmärkte. Inzwischen haben sich die Verhältnisse umgedreht: Läden, in denen hinter einem Tresen oder einer Theke jeder Artikel bedient wird, sind rar geworden. Im Supermarkt entscheidet sich, was gegessen wird und was nicht. Nur wenige dieser Lebensmittelkaufhäuser zählen nicht zu den Großen Fünf der Branche – Metro, Rewe, Edeka/AVA, Aldi und Schwarz (Lidl). Aber sie alle funktionieren nach dem gleichen Prinzip: Verführung als Spielregel, die in einem Labyrinth des Warenüberflusses zum Einsatz kommt.

Beginnen wir unseren Rundgang durch den Supermarkt mit der Obst- und Gemüseabteilung: Äpfel, Apfelsinen, Kartoffeln, Suppengrün, Tomaten, einige Exotika aus Übersee – und am Rand eine kleine Ökoecke. Äpfel, die biblische Urfrucht, wurden noch in den fünfziger Jahren in mehreren hundert Sorten gehandelt, inzwischen nur noch mit derer sechs: Gezüchtet nicht nach Vielfalt, Geschmack und Bekömmlichkeit, sondern nach den Maßgaben der Europäischen Union, geprüft auf Haltbarkeits- und Lagerfähigkeit, sollen sie schön aussehen – ohne faule Stellen. Gleichmäßig glatt, rund, glänzend auch die Einheitstomaten – die einstige Sortenvielfalt gehört der Vergangenheit an. Fast alle schmecken inzwischen nach jenen niederländischen Exemplaren, die in den siebziger Jahren die Tomate als geschmacklos diskreditiert haben. Bereits in diesem Teil des Supermarktes werden wir in die Irre geführt und getäuscht. Denn die schöne, bunte Obst- und Gemüsewelt verbirgt, dass wir praktisch mit jedem Pfirsich, jeder Orange auch Pflanzenschutzmittel zu uns nehmen. Dem Kunden soll nicht auffallen, was sich hinter dem schönen Schein der Oberfläche verbirgt. Die Desorientierung ist kein Zufall – sondern hat System.

Ziel des Supermarktes ist nicht, die Verbraucher ins Bild zu setzen, sondern Waren zu verkaufen. Das weiß gewiss auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, kurz: BVL, das Jahr für Jahr ein so genanntes Lebensmittelmonitoring durchführt. Diese Bundesbehörde, möchte man annehmen, muss uns doch schützen. Sie prüft nämlich – und zieht Bilanz. So sieht das etwa für die Gemüse- und Obstabteilung aus: In einer 2006 veröffentlichten Untersuchung des BVL zeigte jede dritte Paprika Belastungen, manche mit 18 verschiedenen Pestiziden. In Rucola waren in mehr als neunzig Prozent der Proben Pestizide nachweisbar. Für das Jahr 2005 stellte die Behörde fest, dass mehr als 85 Prozent der Birnen und Pfirsiche und fast alle ungeschälten Orangen Rückstände von Pestiziden aufwiesen. Bei 15 Prozent der Pfirsiche wurden die gesetzlich festgesetzten Höchstmengen deutlich überschritten – eine Verdoppelung gegenüber 2002. Wie bitte? Jeder sechste Pfirsich ist eigentlich nicht genießbar – und was macht das BVL? Schlägt die Behörde Alarm, geht mit den Befunden zur nächsten Staatsanwaltschaft? Nein, wir hätten es wissen können. Stattdessen resümiert die Behörde des Landwirtschafts- und Verbraucherministeriums: »Aus Sicht des BVL ist es zweckmäßig, dass Importeure und Handelsunternehmen mit festen Partnern in der Landwirtschaft kooperieren und mit diesen praktikable Eckpunkte zum Pflanzenschutz festlegen, in denen beispielsweise die verwendeten Wirkstoffe und Anwendungsbedingungen festgelegt werden.« Darüber hinaus hält die Behörde fest, dass sich in den geprüften Obst- und Gemüsechargen Pestizide fanden, die hierzulande verboten sind – oder nicht einmal bekannt. Eine Bankrotterklärung des Verbraucherschutzes – weil selbst die freimütige Analyse...

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