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E-Book

Hollywoods Kriege

Geschichte einer Heimsuchung

AutorElisabeth Bronfen
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl528 Seiten
ISBN9783104025278
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Über die Darstellung von Krieg im Hollywood-Film Amerikas traumatische Kriegsgeschichte wird am ehesten verständlich, wenn man sie durch die Linse von Filmen erfasst. In den Erzählungen von Schlachten und Feldzügen, von Frontereignissen und dem Schicksal Daheimgebliebener kann Krieg für uns erfahrbar gemacht werden. In ihrer brillanten Analyse zentraler Klassiker von ?All quiet on Western Front? bis zu den aktuellen Produktion wie ?Flags of our Fathers? gelingt es Elisabeth Bronfen, Hollywood als zentralen Ort zu dechiffrieren, an dem die großen nationalen Erzählungen in Umlauf gebracht werden, damit das Publikum sich auf Phantasien, Ideologien und Ängste einlassen kann - und die flexibel genug sind, sich dem wechselnden politischen Klima anzupassen.

Elisabeth Bronfen ist Professorin am Englischen Seminar der Universität Zürich. Sie promovierte und habilitierte an der Universität München und hat zahlreiche vielbeachtete Werke in den Bereichen gender studies, Psychoanalyse, Film- und Kulturwissenschaften verfasst, zuletzt ?Liebestod und Femme Fatale. Der Austausch sozialer Energien zwischen Oper, Literatur und Film? ( 2004), ?Tiefer als der Tag gedacht. Eine Kulturgeschichte der Nacht? (2008) und ?Crossmappings. Essays zur visuellen Kultur? (2009).

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Leseprobe

Die gewaltsame Geburt einer Nation


Gangs of New York ist tonangebend für den theoretischen Fokus dieses Kapitels. Der Film führt die Geburt der Stadt New York auf eine Urszene der Gewalt zurück, und indem er die historischen Draft Riots in eine individualisierte Geschichte persönlicher Rache transformiert, verbildlicht er Benedict Andersons Behauptung, dass im Laufe des 19. Jahrhunderts kulturelle Fiktionen erfolgreich zur Anwendung gekommen sind, um es den Menschen zu ermöglichen, die besondere Gemeinschaft zu imaginieren, die eine Nation ist. Diese Narrationen der Nation arbeiten damit, dass sie jene Aspekte tatsächlich stattgefundener Ereignisse aussparen, die zu traumatisch wären, um direkt mit ihnen konfrontiert zu werden. Stattdessen gedenken sie der Gewalt der Geschichte in bedeutungsvollen Erzählungen, die den kulturellen Anliegen einer sich immerfort verändernden Gegenwart anpassbar sind. Indem ich die Chronologie verändere, rückt meine Darstellung ein zentrales Anliegen dieses Buches in den Vordergrund, nämlich die Frage nach der Geschichte als offenes Kapitel. Die Vergangenheit sucht die Gegenwart unaufhörlich heim, und jede neue Welle von Filmemachern ist dazu aufgerufen, sich mit den militärischen Konflikten zu befassen, die die Narrative der amerikanischen Nation so stark geformt haben. Die Vorstellung des offenen Kapitels wird von mir aber auch aufgegriffen, um deutlich zu machen, dass ich diese filmischen Refigurationen behandle als etwas, das teilhat an einer »preposterous« Lektüre der Geschichte (Bal). Zu beginnen, indem man den letzten Abkömmling einer Ahnenreihe betrachtet, bedeutet, auf all die früheren Filme durch die Brille ihres nachfolgenden Recyclings zu blicken und sie in diesem Sinne zu denken. Dies zieht nach sich, jeden folgenden Film als Reaktion sowohl auf das offene Kapitel des Bürgerkriegs selbst als auch auf die Fragen, die vorherige Filme offengelassen haben, zu behandeln.

Tatsächlich hat es eine gewaltige Unterhaltungsindustrie den Amerikanern ermöglicht, die Feindseligkeiten von 18611865 als einen großen Krieg zwischen Brüdern zu erinnern/zu vergessen, nicht zuletzt weil das Melodrama von auseinandergerissenen und durch das Opfer eines kollektiven Todes wiedervereinten Familienmitgliedern sich als besonders dienlich erwiesen hat, die Union nach dem immensen Blutvergießen des Krieges, der mehr als 620000 Menschenleben forderte, wieder zu regenerieren. Um nachzuverfolgen, wie mehrere Generationen von Bürgerkriegsfilmen die gewaltsamen Ursprünge der amerikanischen Nation durch Vergessen erinnert haben, dient Gone with the Wind (1939) als Ausgangspunkt. Der Fokus liegt hier auf der Art und Weise, mit der der Film die Selbstbestimmung der Frau in Zeiten des Krieges unterstreicht, indem er den Kampf der Geschlechter dem Kampf zwischen Brüdern gegenüberstellt. Dabei recycelt der Film die melodramatische Form von Griffiths Birth of the Nation (1915), die einen politischen Kampf in eine Familienfehde und deren Auflösung in die Wiederherstellung des Bundes weißer Brüder übersetzt hatte, dadurch, dass er sie neu schreibt. Zwei Filme, die die Frage nach der Souveränität und Selbstbestimmung der Schwarzen im und durch den Bürgerkrieg in den Vordergrund stellen, folgen. Major Dundee (1965) macht auf den Konflikt zwischen Brüdern aufmerksam, die in die Anerkennung der Afroamerikaner als eigenständige Subjekte im Kampf um ihre Emanzipation involviert sind. Glory (1989) wiederum ist der erste Film, der sich nicht für afroamerikanische Soldaten einsetzt, indem er für diese Soldaten spricht, sondern indem diese als eigenständiges einheitliches Regiment auftreten. Das letzte Beispiel, Ride with the Devil (1999), fügt noch eine weitere Schicht zu den filmischen Rekonzeptionen einer Nation hinzu, die in einem inneren Konflikt zerrissen ist, indem er sich auf diejenigen konzentriert, die keiner Seite angehören – den befreiten Sklaven und den Sohn europäischer Immigranten.

Indem ich mich durch mehrere Generationen von Bürgerkriegsfilmen bewege, steht die Behauptung im Zentrum, dass Hollywood immer schon als bevorzugter Ort fungiert hat, an dem dieses melodramatische Narrativ nicht nur recycelt, sondern auch rekonfiguriert wird, um immer wieder die Wichtigkeit zu thematisieren, die der Bürgerkrieg für das jeweils zeitgenössische Gefühl nationaler Identität hat. Das Vergessen spielt eine konstitutive Rolle in jeder imaginativen Rückkehr zur Vergangenheit. Wie Anderson bemerkt: »Alle tiefgreifenden Bewusstseinsveränderungen führen […] zu charakteristischen Amnesien. In bestimmten historischen Zusammenhängen entspringen diesen Formen des Vergessens spezifische Narrative.« Eben weil ein Ereignis nicht vollständig erinnert werden kann, muss es erzählt werden. Damit sich eine kollektive Imagination durchsetzen kann, ist ein teilweises Vergessen des historischen Ereignisses notwendig. Wenn Narrative über imaginierte Gemeinschaften aber zur Biographie einer Nation gehören, so fügt Anderson hinzu, können sie nicht als Kette von Zeugungen in einer Fortpflanzungslinie beschrieben werden, da Nationen, im Unterschied zu einzelnen Personen, keine klar identifizierbaren Geburtsstunden haben. Stattdessen sind Geschichten über die Geburt von Nationen »durch Tode gekennzeichnet, die in seltsamer Umkehrung üblicher Genealogien in einer ursprünglichen Gegenwart beginnen. Der Zweite Weltkrieg erzeugt den Ersten Weltkrieg«, und beide erzeugen den Bürgerkrieg.[19] Im Gegensatz zu Amsterdams Prophezeiung, dass er und diejenigen, die an seiner Seite kämpften, in Vergessenheit geraten werden, sind die Tode, die die kulturellen Fiktionen über die Geburt der amerikanischen Nation aus den gewaltsamen Rebellionen heraus strukturieren, eben nicht die anonymen Tode, die die moderne Kriegstechnologie produziert. Wie das letzte Bild von Gangs of New York illustriert, entreißt Hollywoods kulturelles Imaginäres den Grabstätten unbekannter Kämpfer »beispielhafte Selbstmorde, ergreifende Martyrien, Exekutionen, Kriege«, so Anderson, denn »diese gewaltsamen Tode müssen erinnert/vergessen werden als ›unsere eigenen‹«,[20] um einem narrativen Zweck zu dienen.

Obwohl Filme wie Griffiths America (1924) auch die amerikanische Revolution auf die Leinwand bringen, ist es vor allem der Bürgerkrieg, der für die spezifisch amerikanische Beschäftigung mit seinen gewaltsamen Ursprüngen als beständigste Kennzeichnung des Todes hervorgegangen ist, und der als nationales Narrativ immerfort umgeschrieben wird, um an die Bedürfnisse jedes nachfolgenden historischen Momentes angepasst zu werden. Wie Shelby Foote emphatisch in seinem Interview mit Kevin Burns äußert: »Es ist absolut notwendig, wenn man den amerikanischen Charakter des zwanzigsten Jahrhunderts verstehen will, diese gewaltige Katastrophe des neunzehnten Jahrhunderts zu studieren. Das war der Scheideweg unseres Seins.«[21] Von Anfang an war das Narrativ, das als dominante symbolische Fiktion dienen sollte, um den Krieg zu rechtfertigen, genauso innerlich gespalten wie das symbolische Haus, auf das sich Lincoln in seiner Rede in Springfield, Illinois, berief, um eine Erhaltung der Union um jeden Preis zu verteidigen. Die eine Seite dieses dualen Narrativs drehte sich um die Tatsache, dass die Unterschiede in der Weltanschauung, die die Sezession durchspielte, weniger bedeutete, dass die Union zusammenfindet, als dass sie wieder zusammenfindet. In seiner Gettysburg Address verkündete Lincoln, dass »diese Nation, mit Gottes Hilfe, eine neue Geburt der Freiheit erleben möge«. Auf dem Spiel stand die Vorstellung, zu einem früheren Moment nationaler Geburt aus Gewalt heraus zurückzukehren, der wiederholt werden musste, bevor die Verfassung, die er hervorgebracht hatte, als vollständig erfüllt angesehen werden konnte.

Eine Rückkehr zum Krieg erwies sich als notwendig, um das Versprechen von Gleichheit und Freiheit einzulösen, das als Ausgangspunkt für den Anspruch an den »American exceptionalism« gedient hatte, und um den Fortbestand der 1776 gegründeten Union durchzusetzen. Bezeichnenderweise diente beiden politischen Belangen – der Emanzipation der Afroamerikaner und der Erhaltung der nationalen Einheit – am besten eine religiöse Kodierung der Kriegserklärung gegen die Konföderation. Die dominante Fiktion, die die hässliche Realität des Krieges mit erlösendem Wert ausstattete, war eine, die die Notwendigkeit eines »nationalen Opfers« proklamierte, um für die »nationale Sünde der Sklaverei« zu büßen, wenngleich dabei auch geltend gemacht wird, dass die Sezession ein sündhafter Bruch mit der von Gott bestimmten Mission Amerikas war. Im Moment ihrer militärischen Katastrophe stellte die Konföderation ihr eigenes religiöses Gegennarrativ auf, in dem der Süden Märtyrer in einem »Lost Cause« ist und seine aristokratischen, heroischen Qualitäten und moralische Überlegenheit in einem hoffnungslosen Kampf gegen den materialistischen und moralisch verfallenen urbanisierten Norden opfert. Wie Barbara Fields insistiert, war es ein Kampf um Emanzipation, der, »was andernfalls nur ein sinnloses Gemetzel gewesen wäre, in den Stand eines bedeutsamen Höheren erhob«.[22] Signifikant für Hollywoods beständiges Recycling der Bürgerkriegsnarrative ist, dass auch Hollywood etwas mit vorgeblich erlösenden Eigenschaften ausstattet, was in der Realität ein grausames Abschlachten von Menschenleben war. Die Filme, die ich hier diskutieren werde,...

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