Obwohl technisch einfacher ausgerüstet, ist dieser antike Spielraum beträchtlicher als bei den meisten Theaterarchitekturen, die im Lauf späterer Zeitalter entwickelt worden sind. Ein Rundbau ist es ohne Dach, also unter freiem Himmel, im Einklang mit den natürlichen Lichtverhältnissen der Tages- und Jahreszeit. Hufeisenförmig umgeben die ansteigenden Sitzreihen der Zuschauer eine kreisrunde Plattform, die Orchestra, wo der singende und tanzende Chor zugange ist. Zudem finden hier weitere pointierte Auftritte statt, so das erstmalige wie das mehrmalige Erscheinen der jeweils maßgeblichen Solo-Akteure. Letztere bleiben jedoch nicht auf der Orchestra, sondern begeben sich alsbald auf ihre eigentliche Aktionsplattform, die sich weiter oben ausbreitet, vis-à-vis zum Dreiviertelkreis der Zuschauerreihen.
Auf dieser Plattform, auch Proskenion genannt, erhebt sich ein hausartiges Gebäude, die Skenä, mit einer Mitteltür und zwei Seitentüren. Daraus treten die Solisten hervor, wenn sie, laut Spiel, soeben einen Palast oder einen andren Innenraum verlassen. Drinnen, so wird suggeriert, spielen sich aber auch jene Gewaltakte ab, deren traurige Resultate hernach aufgebahrt herausgefahren werden, jetzt erst sichtbar für die Blicke des Publikums. So die Leichen der selbstmörderischen Antigone und Jokaste, so auch der verstümmelte Ödipus, nachdem er sich die Augen ausgestochen hat. Von droben dagegen, vom Dach der Skenä, erfolgt – sofern es dazu kommt – der Auftritt dieses oder jenes Gottes, der von hoher olympischer Warte (mittels Hebekran) sich herablässt, um in die Wirrnisse unter den Sterblichen einzugreifen. Unversehens, als sprichwörtlicher deus ex machina, gleitet er auf seiner Maschine hinab. Nirgends wohl so eindrucksvoll und folgenreich wie in der Orestie, wenn schließlich die Göttin Pallas Athene für eine sinnvolle Lösung sorgt, nachdem die Konfliktparteien dort unten sich blutig verrannt haben. Und in die Gegenrichtung, von drunten nach droben, lässt sich der tatkräftige Held von Aristophanes’ Der Frieden* befördern: der Weinbauer Trygaios, der rittlings auf seinem gigantischen Käfer zum Olymp emporfliegt, um die dort gefangen gehaltene Gottheit des Friedens zu befreien und auf die Erde herabzuholen.
Derart verschafft das Amphitheater seinen Zuschauern im Lauf der szenischen Ereignisse ein energisches Mit- und Gegeneinander von horizontalen und vertikalen Richtungsimpulsen. Ergänzt noch durchs ebenso nachdrücklich ausgespielte Hinein und Heraus auf der Skenä mit ihrem verborgenen Interieur, ergibt sich ein vielsagendes Gesamtbild lebendiger Dreidimensionalität. Schauspiel – so wie es sich hier selber dem Publikum vor Augen führt – ist zuallererst ein elementar raumgreifender Hergang zwischen menschlichen, übermenschlichen und dinglichen Körpern. Zumal dann, wenn der intime Schauplatz des menschlichen Mienenspiels entfällt. Denn nicht nur der Chor, auch die Einzelpersonen der antiken Tragödien und Komödien tragen starre, grell expressive Gesichtsmasken, die von Anfang bis Ende keinerlei veränderliche Gemütsregungen zu erkennen geben. Hierfür kommen ausschließlich die Bewegungen der Gestalten im Raum, ihre Gestik und ihre bald gesungene, bald gesprochene Versrede auf.
V. K.
Aristophanes: Der Frieden
Diese Komödie hat einen bestimmten, schwerwiegenden Anlass, weswegen und währenddessen sie geschrieben wurde. Es ist der Peloponnesische Krieg, der im Uraufführungsjahr 421 vor Christus schon geraume Zeit in Gang war, mit argen Nöten für die Mehrheit der Bevölkerung auf beiden Seiten. Es ging dabei um die Vormachtstellung der beiden Stadtstaaten Athen und Sparta, wobei Sparta die Handelsstädte Korinth und Megara auf seine Seite ziehen konnte. Angehörige all dieser zerstrittenen Völkerschaften erheben dann auch ihre Stimmen in den Chören von Aristophanes’ Komödie und treten leibhaftig in Aktion. Nicht etwa, um kämpferisch einzutreten für die eigennützigen Belange ihres jeweiligen Staats, sondern um den schmerzlich entbehrten Frieden für alle herbeizuführen.
Aristophanes (um 445 – um 385 vor Christus) macht sofort klar, dass er das Gegenteil liefert von wehrertüchtigender Propaganda für die Eigeninteressen Athens. Nein, ein unerbittliches Anti-Kriegsstück, ausgehend vom und eingreifend ins Gegenwartsleben, entwirft er mit allen drastischen Mitteln zeitgenössischer Bühnenkomik. Schonungslos deckt er dabei auch die innenpolitischen Umstände auf, die den Frieden hintertreiben. Dem maßgeblichen Staatsmann Perikles nämlich droht ein schmählicher Korruptionsprozess. Grund genug für ihn, so argwöhnt die Komödie, mit vaterländischem Getöse den Krieg zu schüren, um die öffentliche Aufmerksamkeit abzulenken: fort von den innergesellschaftlichen Querelen, hin auf den äußeren Feind. Ein Rezept, das sich jahrtausendelang ausgezahlt hat, vollends heute mit sogenannter globaler Reichweite.
So viel zur Vorgeschichte und zur Ausgangslage dessen, was in der Komödie vom Frieden (Eirene) abläuft. Ohne Umschweife zeigt es schon die erste Szene an. Empört ist der Weinbauer Trygaios über den sinnlosen Bruderkrieg der griechischen Stadtstaaten, der nur Tote einbringt und zugleich das produktive Arbeitsleben der Landwirtschaft zerstört. Niemand sonst als die Waffenschmiede und Waffenhändler – sie treten in späteren Szenen auf und werden dort dem Hohngelächter ausgesetzt – zieht Gewinn daraus. Also greift der Landwirt Trygaios, anders als seine lethargischen Zunftgenossen, zu beherzter, erfinderischer Selbsthilfe. Er will in den Olymp hinaufdringen, um die Götter zur Rechenschaft zu ziehen, weil sie die Missstände hienieden stillschweigend dulden, wenn nicht gar begünstigen. Mehr noch. Da Trygaios sich ohnehin nur wenig verspricht von einer bloßen Beschwerde bei jener gleichgültigen Instanz, wird er selber mehr als eine Hand anlegen dort oben. Er wird, gemeinsam mit den ebenso kriegsverdrossenen Völkerschaften des Chors, die gefesselte, in einen tiefen Schacht versenkte Friedensgöttin befreien und nach Griechenland zurückführen. Dorthin, wo sie sämtlichen kriegsverletzten Stadtstaaten zugutekommen kann.
Eröffnungsszene, halsüberkopf. Sie springt mitten hinein ins Geschehen. Vor seinem Haus (der Skenä) ist ein Sklave des Trygaios emsig dabei, Mistklöße zu kneten, die ein andrer Sklave dann Stück für Stück ins Haus bringt. Dahinter ist der – vorerst – unsichtbare gigantische Mistkäfer zu denken, auf dem ihr Herr alsbald himmelan fliegen wird.
erster sklave: Schnell, einen Kloß her für den Käfer, schnell!
zweiter sklave (knetet einen Kloß aus Mist und reicht ihn dem ersten Sklaven, der den Riesenkäfer füttert):
Da, gib ihn dem verfluchten Ungetüm,
Und komm ein bessrer nie in seinen Schlund!
erster sklave (bringt den Kloß hinein und kehrt gleich zurück):
Noch einen Kloß aus Eselsmist geknetet!
zweiter sklave: Hier! – Ei, wo ist der andre? Hat er den verschmäht?
erster sklave: O nein! Er riss ihn fort und drehte
Ihn mit den Füßen rum und schluckt’ ihn ganz!
Flink! Knete nur recht viele gleich und dicke!
zweiter sklave (gegen das Publikum, während der erste Klöße fortbringt):
So helft mir doch, ihr Kotfeger, wenn ihr nicht
Mich im Gestank ersticken sehen wollt!
[…]
trygaios (hinter der Szene): O Zeus, was tust du unserm Volk noch an?
Du wirst noch unversehns die Städt’ entkernen!
sklave: Ja, seht, das ist sein Übel, sagt’ ich’s nicht?
Da habt ihr nun ein Pröbchen seiner Narrheit!
[…]
Nun gestern – weiß der Henker, wo er war –
Bringt er ’nen Riesen-Ätnakäfer heim,
Und ich, ich muss als Stallknecht seiner warten.
[…]
– Entsetzlich! Kommt ihr Nachbarn, kommt zu Hilfe!
Mein Herr steigt auf und schwebt soeben in
Die Lüfte hoch zu Ross auf seinem Käfer! (S. 239ff.)
Das Publikum, das bisher lediglich die Stimme des vom Haus verdeckten Trygaios vernommen hat, kann ihn jetzt erstmals leibhaftig sehen: wie er auf seinem Käfer schon in den Lüften schwebt, aufwärts zum Olymp. Es geschieht kraft Hebekran der Bühnentechnik, der das Reittier samt seinem Reiter nach oben befördert. Aber auch sprachlich, nicht nur sichtlich hebt Aristophanes das erstmalige Erscheinen seines Haupthelden hervor und empor. Trygaios, nunmehr vom Erdboden abgehoben, verlässt...