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Arbeiten mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)

Ein Fallbuch

AutorAndrew Gloster (Hrsg.), Jan Martz, Michael Waadt
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl417 Seiten
ISBN9783456755588
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (kurz: ACT) entstand in der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie. Entwickelt von Steven C. Hayes ist sie in ihrer Wirkung vielfach durch wissenschaftliche Studien bestätigt worden. Michael Waadt, Autor des ACT-Buches zum Burnout und ACT-Therapeut in München, Jan Martz, Psychiater in Winterthur, und Andrew Gloster, Research Scientist am Department für Psychologie der Uni Basel, stellen mit dem vorliegenden Werk ein Fallbuch zusammen, in dem die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der ACT an konkreten Falldarstellungen verdeutlicht werden.

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Leseprobe

2 Der Dämon, der mich liebte:


ACT bei Suchtproblemen

Norbert Schneider

Fallbeschreibung


Jay, ein 28-jähriger arbeitsloser Koch, berichtete beim Erstgespräch, er sei seit über zehn Jahren heroinabhängig. Weil Heroin und das Dealen ihn «entmenscht» hätten, hatte seine Freundin vor zwei Monaten die Beziehung beendet. Der Trennungsschmerz war übergroß, und seine tiefe Verzweiflung vermengte sich mit einem glühenden Zorn auf sich selbst und die Drogen. Er war wild entschlossen, seine Sucht «auszumerzen». Seitdem war er im Hinblick auf Opiate «mit zusammengebissenen Zähnen stolperclean» – abstinent mit gelegentlichen Rückfällen –, und er hatte aufgehört zu dealen. Aber der Verlust der Liebe und die Entzugssymptome waren «unaushaltbar» – und so kiffte er weiterhin, trank noch Alkohol und nahm bei Bedarf Benzodiazepine. Das Gros des Tages verbrachte er allein «in Trance vor der Playstation». Einerseits war die Szene mangels Alternativen seine «Ersatzfamilie» geworden, andererseits war dort jedem «das Hemd näher als die Hose». Mit Nachdruck betonte Jay, er habe die «Szenenlinkerei» satt und «ekele» sich vor anderen «Junkies». Nach dem Rausschmiss aus der Wohnung seiner Freundin war er in eine «verwanzte» Pension gezogen, «das Mekka der Verwahrlosten». Auch seine Eltern hatten ihn unlängst «verstoßen», nachdem er sie erneut beklaut hatte, um Drogen zu kaufen. Er hatte einen «heiligen Zorn auf alles und jeden», vor allem auf seinen Vater, und geriet immer und immer wieder in unversöhnliche Konflikte. Jetzt fühlte er sich «so allein, als wäre ich auf einem eigenen Planeten». Jay war ambivalent, ob eine Therapie für ihn sinnvoll wäre. Seine Ex-Freundin und seine Eltern hatten ihn dazu gedrängt. Aktuell sorgte er sich, wieder mit Heroin «böse» rückfällig zu werden. Er wollte auch den Konsum anderer Drogen und Alkohol reduzieren, «vielleicht eines Tages ganz die Finger davon lassen» und «nicht mehr mich und alle hassen». Auch hoffte er, sich durch die Therapie «wieder aus der Gosse hochzurappeln» und Arbeit zu finden, mit anderen Menschen besser «klarzukommen» und eine «anständige, unverdorbene» Liebesbeziehung leben zu können.

Im Erstkontakt wirkte Jay schnoddrig und aufgebracht, zugleich bemüht und zugänglich. Er zappelte unruhig mit den Beinen und vermied direkten Blickkontakt, schien aber nicht intoxiniert zu sein. Die Sprache war stark von der Szene geprägt und trotzdem überraschend fantasievoll und elaboriert. Sein inhaltlich drastisches Erzählen wirkte auf mich auffallend inkongruent zu seinem lässigen und schnippischen Tonfall. Wenn ich daraufhin direkt nach seinen Emotionen fragte, berichtete er allenfalls abstrakt von unspezifischen Gefühlen und wechselte schnell wieder zu äußeren Ereignissen. Auch die Stimmqualität wirkte wenig fokussiert, eher externalisierend, als spräche er vor einem Publikum, dem er gefallen wollte, das er aber auch auf Abstand hielt. Sein Erzählstil war unterhaltsam, zugleich aber weitschweifig, ablenkend und mit einem bitter wirkenden Sarkasmus gespickt. Antworten auf meine Fragen kamen zuzeiten so schnell, dass ich den Eindruck hatte, sie wären «einstudiert» und oft wiederholt. Jays Denken war geprägt von Imperativen – «muss», «soll», «kann nicht» – sowie beliebig wirkenden Schlussfolgerungen, so dass seine Interpretationen einen undurchlässigen Schild erzeugten.

Die Art, wie Jay die Geschichte seiner Kindheit erzählte, wirkte auf mich übermäßig stringent und wie «in Stein gemeißelt», so dass ich eine Scheu spürte, etwas davon infrage zu stellen: Sein Vater war ein strebsamer Apotheker gewesen, «schon immer überarbeitet und aggressiv», der sich selten für seine Kinder Zeit genommen hatte. Bei Fehlverhalten war Jay als Kind oft «wie bei einem Ritual» mit einem Gürtel geschlagen worden. Im Unterschied zu seinem erfolgreichen Bruder war Jay ein «Zappelphilipp und Schulversager» gewesen, für den der Vater «nur Verachtung übrig» gehabt hatte. Jays Mutter, die als Angestellte in der Apotheke mitarbeitete, war depressiv und codeinabhängig. Als «Dealer mit Lizenz» hatte der Vater sie «unter Kontrolle gehalten» und zu verhindern gewusst, dass sie «jemals gegen seine Tyrannei aufbegehrte». Es war Jay untersagt worden, seine Gefühle offen zu zeigen: «Hör auf zu weinen, sonst gebe ich dir einen Grund zu weinen!» Jays berichtetes Selbsterleben wurde häufig invalidiert und vom Vater «als in Wahrheit nieder motiviert» getadelt. Im Internat, in das er sich abgeschoben fühlte, hatte er mit 15 Jahren begonnen, Cannabis und Alkohol zunächst sporadisch, bald aber täglich zu konsumieren. Bis zur Volljährigkeit gesellten sich Metamphetamine («Crystal-Speed») und Heroin hinzu. Nach der mittleren Reife begann Jay eine Ausbildung zum Koch, wurde aber schnell wieder «ausgesiebt». Beim vierten Anlauf hatte er einen Lehrherrn, «der trotz allem an mich glaubte», und beendete seine Ausbildung erfolgreich. Anschließend arbeitete er in wechselnden Gaststätten und Hotels, wurde aber immer wieder aufgrund der Folgen des Drogenkonsums gekündigt. Seit über fünf Jahren war er nun durchgehend arbeitslos, hatte aber in dieser Zeit vom Dealen finanziell gut leben können. Da er stets streng auf saubere «Nadeln» geachtet hatte, war ihm eine Hepatitis- oder HIV-Infektion erspart geblieben. Jay hatte noch nie eine Therapie begonnen, aber schon achtmal erfolglos versucht, zu Hause «kalt» zu entziehen. Freundschaften hatte er bis auf wenige Ausnahmen nur als «bigotte Nutzbeziehungen» gekannt, denen man «nie trauen sollte». Selbst seine Liebesbeziehungen waren «voller Lügen und Ausnutzerei» gewesen. Die letzte Freundin aber war «eine echte Prinzessin» gewesen, die er in «unverzeihlicher» Weise durch Drogen «verdorben» hatte. Er beklagte, dass er ihre Bemühungen um Nähe «abgeblockt» und ihr nicht hinreichend gezeigt hatte, dass er sie liebt. Die Tatsache, dass er vor ihrem kleinen Sohn Drogen genommen hatte und gewalttätig gewesen war, «beweist, was für ein gewissenloses Schwein ich bin».

Fallkonzept


Eine therapeutische Reflexion ist nicht ein Spiegel, den man der

Wirklichkeit vorhält, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet.

(in freier Anlehnung an Karl Marx)

Als Therapeut verfüge ich zunächst nur über einen indirekten, durch Jays Erzählungen vermittelten Zugang zu seinem Alltagsverhalten. Diese Erzählungen sind aber unweigerlich subjektiv und tragen womöglich die Probleme, die es zu adressieren gilt, bereits in sich. Ein anderer Zugang zur Diagnose ist die Wahrnehmung seines unmittelbaren Verhaltens in der Therapiesitzung selbst sowie meiner eigenen Reaktionen darauf. Neben vielen inhaltlichen Hinweisen auf Erlebensvermeidung – Drogenkonsum, ausgedehnte Playstation-Sessions, das Vermeiden von Nähe in seinen Beziehungen – wiesen verschiedene Prozessmarker auf eine geringe emotionale Akzeptanz: die Neigung zu unvermittelten Themenwechseln, wenn schwierige Probleme angesprochen wurden, die externalisierende Sprechweise oder die parathym anmutende Inkongruenz von Inhalten und Ausdrucksweise der Erzählung. Für eine ausgeprägte kognitive Fusion sprachen die schnellen, einstudiert wirkenden Antworten, die beliebigen Inferenzen, die imperativen Kognitionen, das Sprechen wie vor Publikum sowie die Erzählweise der Lebensgeschichte, die kein Hinterfragen zu erlauben schien. Anzeichen einer Dominanz von Vergangenheit und Zukunft über das Bewusstsein des gegenwärtigen Augenblicks waren der ausschweifende Erzählstil sowie das thematische Wandern zu anderen Zeiten und anderen Orten, wenn ich nach seinem augenblicklichen Erleben fragte. Auch in Zeiten akuter Intoxikation war Jay schließlich nur bedingt «anwesend». Auf ein beengendes Selbstkonzept deuteten sowohl die Selbstabwertungen hin als auch mein Eindruck, dass Jay mir eine Rolle vorspielte, womöglich aus soziotroper Sorge darüber, was ich über ihn denken könnte. Verweise auf Werte kamen durch die Therapieziele zur Sprache, die vorrangig die Qualität seiner Beziehungen anvisierten. Auch seine Verbitterung über die Unehrlichkeit und mangelnde Solidarität in der Szene sowie die Enttäuschung über sein eigenes Verhalten seiner Freundin und deren Sohn gegenüber wiesen implizit auf vorhandene Werte hin. Allerdings schien sein Engagement, diese Werte auch zu leben, noch ausgesprochen gering. Vielmehr war sein Verhalten zu Therapiebeginn sehr passiv und impulsiv und wurde maßgeblich von kurzfristigen Verstärkungen durch Drogen und Playstation gesteuert.

Verhaltensanalyse und Skizze eines Behandlungsplans


  1. Erlebensvermeidung: In seiner Familie bekam Jay die Einstellung vorgelebt, dass man schmerzliche Emotionen nicht aushalten kann oder muss, sondern sie medikamentös kontrollieren sollte, damit man «funktionieren» kann. Weil das Befolgen dieser Regel über die unmittelbare Erfahrung dominierte (z.B. dass belastende Gefühle aushaltbar sind), konnte Jay ihre Dysfunktionalität nicht erkennen. Die Regel erlaubte Jay, nach Maßgabe kurzfristiger Konsequenzen zu handeln, verhinderte aber Gelegenheiten, Fertigkeiten des Belohnungsaufschubs zu erwerben. Da Jays Versuche, auch «weiche» Gefühle auszudrücken, von den Eltern bestraft wurden, erlebt er die Bedingungen, die solche Gefühle hervorrufen, etwa zwischenmenschliche Intimität, ebenso als «bestrafend» und vermeidet sie deshalb. Gemäß der Bezugsrahmentheorie (Relational Frame TheoryRFT) geschieht dies aufgrund der «verbalen» Prozesse der Bidirektionalität, der abgeleiteten Reizbeziehungen sowie der Transformation von...
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