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E-Book

Expertise Orthopädische Rheumatologie

VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl380 Seiten
ISBN9783131714213
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis59,99 EUR
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Leseprobe

1 Allgemeine Rheumatologie


1.1 Epidemiologie rheumatologischer Erkrankungen


A. Strangfeld

1.1.1 Einleitung: Was ist Epidemiologie?


Epidemiologie untersucht die Häufigkeit und Verteilung von Krankheiten in menschlichen Bevölkerungen und ihre Determinanten ▶ [134]. Zentrale Begriffe der deskriptiven Epidemiologie sind Prävalenz und Inzidenz als Maßzahlen für die Häufigkeit und die Neuerkrankungsrate einer Erkrankung. Für den Kliniker ebenfalls bedeutsam zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Diagnose sind Parameter wie das typische Erkrankungsalter und geschlechtsspezifische Aspekte.

Die analytische Epidemiologie hat das Ziel, Risikofaktoren von Erkrankungen und Determinanten von Krankheitsverläufen aufzudecken und damit zur Kausalerklärung beizutragen. Dies kann mithilfe von Studien an Bevölkerungsstichproben, aber auch – im Rahmen der klinischen Epidemiologie – aufgrund von Beobachtungen großer Gruppen von Patienten mit einer bestimmten Erkrankung erfolgen. Durch die Untersuchung von Krankheitsfolgen und Krankheitsverläufen können z.B. Risikofaktoren für einen progredienten Verlauf identifiziert werden. Wesentliche Instrumente der klinischen Epidemiologie sind prospektive Kohortenstudien, in denen Patienten über viele Jahre beobachtet werden. Die Fragestellungen klinisch-epidemiologischer Forschung können von der Aufdeckung von Prädiktoren für definierte klinische Endpunkte bis zur Sicherheit neuer Therapien reichen.

Epidemiologische Methoden bilden auch die Grundlage für die Durchführung von klinischen Studien. Letztendlich werden in der Epidemiologie die Kriterien erarbeitet, die in klinischen Studien den Ein- und Ausschluss von Patienten mitbestimmen oder die Abschätzung des Therapieerfolgs erlauben (z.B. Klassifikationskriterien oder Outcome Measures).

In Deutschland hat die rheumaepidemiologische Forschung eine lange Tradition. Bereits in den 1980er-Jahren wurde eine Bevölkerungsstudie zur Epidemiologie und Versorgung der rheumatoiden Arthritis im Stadtgebiet von Hannover durchgeführt ▶ [216]. Eine Bevölkerungsstudie in Lübeck lieferte erste belastbare Daten zur Häufigkeit von chronischen Rückenschmerzen ▶ [89] und die europäische Osteoporose-Studie EVOS stellte bereits 1998 erste Daten für Deutschland bereit ▶ [59].

Seit Beginn der 1990er-Jahre trägt die Kerndokumentation der regionalen kooperativen Rheumazentren in der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie mit Daten von jährlich rund 17 000 rheumatologisch betreuten Patienten wesentlich zur Beschreibung der Versorgungssituation und zur Aufklärung von Versorgungsdefiziten bei ▶ [223]. Weitere Kohorten untersuchen beispielsweise, wie frühzeitig die rheumatologische Betreuung begonnen wird oder welche prognostischen Faktoren für den Verlauf der Erkrankung eine Rolle spielen. Im Hinblick auf die Sicherheit und Wirksamkeit neuer Therapeutika gehört das deutsche Biologikaregister RABBIT (Rheumatoide Arthritis: Beobachtung der Biologika-Therapie) zu den international führenden epidemiologischen Studien.

Zusatzinfo

Epidemiologie muskuloskeletaler Erkrankungen

Insgesamt leiden in Deutschland etwa 20 Millionen Menschen unter chronischen muskuloskeletalen Erkrankungen. Hierzu zählen u.a. die degenerativen Erkrankungen der Gelenke (Arthrosen), Osteoporose, chronische Schmerzsyndrome (Rückenschmerzen und Fibromyalgie), aber auch die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Die Kosten dieser Krankheiten sind immens und belaufen sich nach Schätzungen des statistischen Bundesamts auf rund 28,5 Milliarden Euro im Jahr (ohne Einbeziehung der indirekten Kosten durch Arbeitsausfall).

Im Folgenden werden epidemiologische Kennzahlen wichtiger rheumatischer Erkrankungen dargestellt.

1.1.2 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen


Zu der Gruppe der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gehören mehr als 100 verschiedene Krankheiten. Ihnen gemeinsam ist eine schwere chronisch-systemische Entzündung. Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung kann sowohl im Erwachsenen- als auch im Kindesalter auftreten. Das Spektrum der Erkrankungen im Kindesalter, ihr Verlauf, sowie die Prognose unterscheiden sich sehr von denen des Erwachsenenalters, weshalb sie getrennt dargestellt werden.

1.1.2.1 Entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Erwachsenenalters

Die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen lassen sich grob in 3 Gruppen unterteilen, je nachdem, welche Organe (Organsysteme) vorwiegend betroffen sind:

  • Gelenke: hierzu gehört die rheumatoide Arthritis (RA) als wichtigste Einzeldiagnose

  • Wirbelsäule: Spondyloarthritiden mit der ankylosierenden Spondylitis (AS) als wichtigste Diagnose

  • Gefäße und Bindegewebe: Vaskulitiden und Kollagenosen mit dem systemischen Lupus erythematodes (SLE) als wichtigste Diagnose

Die Häufigkeit der einzelnen Diagnosen in der rheumatologischen Versorgung ist in ▶ Abb. 1.1 anhand der Daten der Kerndokumentation dargestellt.

Abb. 1.1 Diagnosespektrum entzündlich-rheumatischer Erkrankungen in der Kerndokumentation der Rheumazentren (n=16 287), 2012.

Rheumatoide Arthritis

In Deutschland geht man von einer Prävalenz der rheumatoiden Arthritis (RA) von etwa 0,8% aus. Die Daten hierzu wurden erstmalig in den 1980er-Jahren von Wasmus und Raspe erhoben mit einer Schätzung der Mindestprävalenz von 0,56% (CI 0,37–0,75) und einer angenommenen Prävalenz von 0,91% (CI 0,64–1,18) ▶ [215]. Diese Schätzung konnte durch mehrere internationale und nationale Studien auch in jüngerer Zeit bestätigt werden. Aus Großbritannien wurde eine Prävalenz der RA in diesem Jahrtausend von 0,8% berichtet, darunter 1,2% für Frauen und 0,4% für Männer ▶ [199], mit im Vergleich zu den 1980er-Jahren fallender Tendenz der Erkrankungshäufigkeit, allerdings nur bei den Frauen. Dies deckt sich mit Daten aus den USA, wo anhand der über viele Jahrzehnte gesammelten Daten der Rochester Kohorte ebenfalls eine abnehmende Prävalenz der RA beobachtet wurde: von 1,1% im Jahr 1985 zu 0,9% in 1995 ▶ [85]. Gegenüber den Männern mit einer Prävalenz von 0,6% erkranken Frauen etwa doppelt so häufig an einer RA (Prävalenz von 1,2%).

Die aktuellsten deutschen Zahlen stammen aus einem bundesweiten Survey, den das Deutsche Rheumaforschungszentrum Berlin unter Nutzung des TNS Health Care Panels in den Jahren 2006/2007 durchgeführt hat. In einem 3-stufigen Verfahren (schriftliche Befragung, klinische Untersuchung und Experteninterview) konnten 499 RA-Kranke aus insgesamt 54 979 Personen aus der Bevölkerung identifiziert werden. Dies entspricht einer Prävalenz von 0,9% ▶ [217].

Das mittlere Erkrankungsalter an einer RA liegt zwischen 55 und 65 Jahren, wobei Männer später erkranken als Frauen. Pro Jahr muss mit 20–30 Neuerkrankungen je 100 000 Männern und 40–60 Neuerkrankungen je 100 000 Frauen gerechnet werden ▶ [50] ▶ [184]. Die Inzidenz steigt, v.a. bei Männern, mit dem Alter an. Während bis zum 45. Lebensjahr das Erkrankungsrisiko von Frauen gegenüber dem von Männern etwa um das 4-Fache erhöht ist, verringert sich dieser Unterschied im Alter zwischen 55–65 auf das Doppelte und ist danach sogar nur noch um das 1,4-Fache erhöht. Insgesamt gehen die neuesten Schätzungen von einer jährlichen Inzidenz von 0,04% aus ▶ [42] ▶ [56].

Risikofaktoren für die Entstehung einer RA sind neben einer genetischen Disposition (Shared Epitope) ▶ [75] ▶ [105] auch Übergewicht ▶ [42] und Rauchen, v.a. die Intensität und die Dauer der Exposition ▶ [193] bei Personen, die das HLA-DRB1 (Shared Epitope) besitzen und anti-CCP-positiv...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Stefan Rehart, Stefan Sell: Expertise Orthopädische Rheumatologie1
Innentitel4
Impressum5
Vorwort6
Anschriften8
Inhaltsverzeichnis11
1 Allgemeine Rheumatologie15
Epidemiologie rheumatologischer Erkrankungen15
Einleitung: Was ist Epidemiologie?15
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen15
Arthrose18
Osteoporose19
Chronischer Rückenschmerz20
Diagnostik und Differenzialdiagnostik ausgewählter Krankheiten21
Rheumatoide Arthritis21
Axiale und periphere Spondyloarthritis23
Psoriasisarthritis24
Kristallarthropathien26
Immunologische Grundlagen27
Zellen des Immunsystems27
Humorale Effektormechanismen31
Botenstoffe32
Zusammenfassung34
Labordiagnostik34
Unspezifische Entzündungsmarker: BSG und CRP34
Rheuma-Serologie: Rheumafaktor und ACPA35
HLA-B2736
Erregerassoziierte Diagnostik36
Untersuchung des Gelenkpunktats (Synoviaanalyse)38
Autoantikörper – Kollagenosen38
Autoantikörper – Vaskulitiden42
Bildgebung43
Einleitung43
Konventionelles Röntgen43
Gelenk- und Weichteilsonografie45
Schichtbildverfahren48
Zusammenfassung50
Histopathologische Diagnostik52
Einleitung52
Gelenkerkrankungen53
Systemische orthopädisch-rheumatologische Erkrankungen56
Maligne ossäre Erkrankungen in der orthopädischen Rheumatologie58
Endoprothesenassoziierte Pathologien58
Medikamentöse Therapie60
Einleitung60
Therapieziele60
Therapiekonzepte62
Substanzen62
Kombinationstherapie73
Intraartikuläre Therapie74
Therapieüberwachung75
Perioperative Vorgehensweise unter Therapie mit DMARD und Biologika77
Aktuelle Therapieempfehlungen bei häufigen Krankheitsbildern77
2 Konservative orthopädische Rheumatologie87
Physiotherapie87
Einleitung87
Schulter89
Ellenbogen90
Hand91
Handgelenk92
Daumen94
Finger95
Hüfte97
Knie98
Fuß100
Ergotherapie103
Einleitung103
Gelenkprotektion103
Arbeitsplatzgestaltung104
Hilfsmittel und Adaptionen105
Individualschienen106
Motorisch-funktionelle Behandlung108
Manuelle Medizin110
Grundlagen und Prinzipien110
Diagnostik und Differenzialdiagnose entzündlich-rheumatischer Erkrankungen am Achsenorgan114
Differenzialdiagnose von nicht diagnostizierten seronegativen Spondyloarthritiden116
Funktionsstörungen im Rahmen seronegativer Spondyloarthritiden117
Schmerzchronifizierung nach entzündlichen Aktivitäten am Achsenorgan117
Kristallarthropathien am Achsenorgan117
Polyarthritis-Aktivität am Achsenorgan als Gefahr für manuelle Therapien117
Orthopädietechnik und orthopädietechnische Versorgung118
Einleitung118
Orthesen an der oberen Extremität118
Orthesen an der unteren Extremität122
Einlagen und Schuhzurichtungen124
Hilfsmittel125
Schmerztherapie126
Definition126
Epidemiologie127
Schmerzdiagnostik und Assessment129
Medikamentöse Schmerztherapie130
Physikalische Therapie und Physiotherapie bei akuten und chronischen Schmerzen132
Injektionen/Interventionen133
Multimodale Schmerztherapie137
Sonderfall: Fibromyalgie-Syndrom138
Versorgungspfad Schmerztherapie140
Rehabilitation142
Historie, Definitionen, Besonderheiten142
Besonderheiten der rheumatologischen Rehabilitation143
Indikation143
Zielsetzung143
Organisationsformen und Zugangswege144
Inanspruchnahme146
Anforderungen148
Berufliche Rehabilitation149
Qualitätssicherung und -management149
Rehabilitationsforschung150
Defizite150
Patientenverbände150
Die Deutsche Rheuma-Liga150
Deutsche Vereinigung Morbus Bechterew152
Psychologische Verfahren155
Einführung und Modellbildung155
Schmerzchronifizierung bei rheumatischen Erkrankungen155
Diagnostische Vorgehensweise156
Psychologische Interventionen157
Zusammenfassung160
Physikalische Therapie160
Kryo- und Thermotherapie, Hydrotherapie160
Elektrotherapie163
Ultraschalltherapie165
Pulsierende Signaltherapie166
Phototherapie (Lichttherapie)166
Extrakorporale Stoßwellentherapie167
Röntgenreizbestrahlung168
Radiosynoviorthese168
Massagetherapie169
3 Operative orthopädische Rheumatologie177
Stadienadaptierte Indikationsstellung177
Grundlegendes177
Differenzierte operative Verfahren179
Patientenvorbereitung zur Operation186
Indikation und Planung186
Anamnese187
Krankheitsspezifische Medikation188
Anästhesiologische Besonderheiten189
Lagerung189
Wundheilung189
Perioperatives Management190
Neue biologische Medikamente und nicht steroidale Antiphlogistika190
Konventionelle Basistherapie201
Wirbelsäule205
Rheumatische Halswirbelsäule205
Spondyloarthritis213
Schulter232
Einleitung232
Diagnostisches Vorgehen und Indikationsstellung238
Komplikationen244
Schlusspunkt244
Ellenbogen244
Einleitung244
Diagnostik und Therapie245
Komplikationen253
Schlusspunkt254
Handgelenk255
Einleitung255
Diagnostik und Therapie257
Daumen und Langfinger274
Einleitung274
Diagnostik und Therapie276
Komplikationen284
Schwanenhals- und Knopflochdeformität der Langfinger285
Einleitung285
Diagnostik und Therapie288
Hüftgelenk292
Einleitung292
Diagnostik und Therapie292
Komplikationen302
Kniegelenk302
Einleitung302
Diagnostik und Therapie303
Sprunggelenk317
Einleitung317
Diagnostik und Therapie317
Vorfuß326
Einleitung326
Diagnostik und Therapie327
Komplikationen335
4 Begutachtung rheumatologischer Erkrankungen349
Einleitung349
Rheumatoide Arthritis349
Diagnosestellung349
Laborveränderungen350
Radiologische Befunde350
Tests350
Beurteilung des Verlaufs der Erkrankung351
Therapeutisches Vorgehen351
Begutachtung352
Rehabilitation355
Spondyloarthritiden356
Funktionstests für die Wirbelsäule356
Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew)357
Psoriasisarthritis359
Parainfektiöse Arthritiden am Beispiel der Borreliose359
Juvenile idiopathische Arthritis360
Chronisch-entzündliche systemische Bindegewebserkrankungen362
Systemischer Lupus erythematodes362
Sklerodermie363
5 Zusammenfassung365
Sachverzeichnis368

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