Die älteste Geheimgesellschaft der Welt
Von den Pyramiden von Gizeh bis zum Kölner Dom
»Oh, Ägypten! Oh, Ägypten! Es wird eine Zeit kommen, in der Du statt einer reinen Religion und eines reinen Glaubens, nichts anderes haben wirst als lächerliche Fabeln, unglaubwürdig für die Nachwelt. Und von Dir wird nichts anderes übrigbleiben alsWorte, eingraviert in Stein; und sie werden die einzigen Überreste sein, die Deine Frömmigkeit bescheinigen. «
Thoth
ägyptischer Allgott und Künder geheimen Wissens1
Ein Freimaurer wird gefragt: »Wie viele Freimaurer braucht ihr eigentlich, um in Eurer Loge eine Glühbirne auszuwechseln?« Antwort: »Kann ich nicht sagen. Das ist streng geheim.« Spiegelt dies die Realität wider oder kann man es als simplen Witz abtun?
Der Nimbus der Geheimgesellschaft, der dunklen Machenschaften oder Verschwörungen lastet auf jener Bewegung von Männern, die sich »freie Maurer« nennen, und bringt ihnen immer wieder Anfeindungen, Verbote und Verfolgung ein. Die Nazis haben gegen sie Front gemacht, der spanische Diktator Franco hat sie massenhaft exekutieren lassen, Kommunisten haben sie ebenfalls rücksichtslos verfolgt und verboten, dabei aber gerne einen Teil ihrer Symbole für ihre Ideologie benutzt. Mit Ausnahme Marokkos und der Türkei sind Freimaurer in allen islamisch dominierten Staaten strengstens verboten. Die islamistischen Terror-Organisationen Hisbollah und Hamas möchten sie am liebsten alle »ausradieren«. Auch die erzkonservativen protestantischen amerikanischen Evangelists verbieten ihren Gläubigen immer noch, Freimaurer zu werden. Die Orthodoxen Kirchen Russlands und Griechenlands verurteilen die Mitgliedschaft in Freimaurerlogen ebenfalls.
Und dennoch haben kluge Geister wie Johann Wolfgang von Goethe einer Freimaurerloge angehört, ebenso Wolfgang Amadeus Mozart, Joseph Haydn, Jean Sibelius, Blücher, Gneisenau, Scharnhorst, Gustav Stresemann, Carl von Ossietzky, Lovis Corinth, Rudyard Kipling, Winston Churchill, Salvador Allende, der SOSKinderdorfbegründer Hermann Gmeiner, fünfzehn amerikanische Präsidenten und die Mehrheit der Astronauten.
Weltweit zählt die Freimaurerbewegung sechs Millionen Mitglieder, in Deutschland sind es nach eigenen Angaben derzeit nur 14 000, darunter in Deutschland lebende Amerikaner. Sie spenden weltweit rund drei Millionen Euro täglich (davon zwei Drittel allein die Freimaurer in den USA) für einen guten Zweck, unterhalten Krankenhäuser, Schulen für Behinderte, Armenküchen, kümmern sich um aidskranke Kinder. Und dennoch liegt in den meisten Ländern, darunter auch in Deutschland, ein Schatten über diesen Wohltätern. Hierzulande sind die Freimaurer an ihrem angeschlagenen Image nicht ganz unschuldig: Sie lassen es zu, in einer offenen, demokratischen Gesellschaft als Geheimorganisation bezeichnet zu werden. Dabei erfüllt beispielsweise die CDU mit ihrer Parteistruktur viel eher die Definition einer Geheimorganisation. Während man als einfaches CDU-Mitglied weder eine Mitgliederliste erhält noch an parteiinternen Entscheidungen teilhaben darf – die werden dort unter Ausschluss der Mitglieder und ohne Ankündigung von Ort und Zeit nur vom Ortsvorstand gefällt und dann »per ordre de mufti« verkündet – kann man über die Freimaurerlogen in der Regel das meiste bereits mittels einer öffentlichen Stadtbibliothek erfahren.
Hauptsächlich aber speist sich das Unbehagen in der breiten Öffentlichkeit hinsichtlich der Freimaurer aus einer Mischung aus jahrhundertelanger christlicher Anfeindung, eingängiger Nazi-Propaganda mit entsprechender, bis heute aufgelegter und selbst in deutschen Medien gerne wiedergegebener Verschwörungsliteratur und deren Verschwörungsthesen, sowie aus dem Verbot unter der SED-Diktatur in der DDR.
So sind Freimaurer wieder einmal als »Weltverschwörer« in aller Munde. Doch kaum jemand weiß, woher sie stammen, wer sie sind und was sie wirklich tun.
Dabei war das Image der Freimaurer besonders im protestantischen Preußen bis zum Ende der Weimarer Republik überwiegend positiv. Angefangen bei Friedrich dem Großen war eine Reihe preußischer Könige und deutscher Kaiser Freimaurer sowie zahlreiche namhafte deutsche Adelige, Offiziere, Künstler, Dichter, Angehörige des Großbürgertums. Ein elitärer Club also?
Wegen offener Opposition gegen Hitler ins KZ gesteckt: Carl von Ossietzky (3. v. l., stehend)
Zweifellos, aber schon seit der Gründung der ersten Freimaurerloge in Deutschland grassierte der Slogan der Bewegung, »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Denn darum ging es in der Freimaurerei von Beginn an. Freimaurer haben 1776 die amerikanische Revolution ausgerufen, maßgeblich das Gedankengut für die französische Revolution von 1789 geliefert, ebenso wie für jene gescheiterte deutsche Revolution von 1848. Und dennoch sind sie per se keine Revolutionäre, sondern aus der Tiefe der Geschichte kommende Aufklärer, deren Grundideen in der deutschen Nationalhymne prägnant zum Ausdruck kommen: »Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand«.
Waren es bis vor wenigen Jahrzehnten in erster Linie Faschisten und Kommunisten, die einhellig Freimaurer »ausmerzen« wollten, kommt heute die größte Gefahr für die Bruderschaft gerade aus jener Weltgegend, aus der die Freimaurer ihre Ursprünge mythisch herleiten: aus dem Nahen Osten.
Zwar entstanden die Freimaurer in ihrer heutigen Form als geheime Demokratie-Bewegung erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England, ihre Ursprünge lassen sich jedoch, teils historisch begründet, teils hergeleitet, auf die mittelalterlichen Bauhütten zurückführen, auf den Templerorden und sogar auf die Architekten der ägyptischen Pyramiden.
Geheimbünde gehören gewissermaßen zum Urgestein der Menschheitsgeschichte. Sie lassen sich bereits bei so genannten »prähistorischen« Völkern und Stämmen nachweisen. Schon die faszinierenden Wandbilder in den altsteinzeitlichen Höhlen von Altamira und Lascaux waren offensichtlich nicht für eine breite Öffentlichkeit bestimmt, sondern dienten einer kleinen, sich im Geheimen treffenden Gruppe für bestimmte Zwecke. Aber auch Ethnologen der Neuzeit sind im 19. und 20. Jahrhundert rund um den Globus bei den autochthonen Stämmen Papuas, Australiens, Polynesiens, in Afrika, Indonesien, bei Indianern Nord- und Südamerikas sowie bei den Schamanen Sibiriens auf Geheimbünde gestoßen. Das umfangreiche ethnologische Material darüber ist bis heute noch gar nicht recht ausgewertet worden. Was bisher bekannt ist, beweist indes, dass Geheimbünde so alt sind wie die Menschheit und offenkundig – zumindest zu bestimmten Zeiten und unter bestimmten Umständen – auch Sinn machen, sowohl für eine »primitive« als auch für eine »zivilisatorisch hochstehende« Gesellschaft.
Genau diese Aspekte sollen anhand der Freimaurerei im Weiteren an verschiedenen Stellen erörtert werden: Warum es nötig war, dass sich Freimaurer viele hundert Jahre lang nur geheim treffen konnten und in vielen Staaten sogar bis heute eine Geheimorganisation bleiben müssen. Freimaurer, die in Demokratien leben, könnten eigentlich genauso öffentlich auftreten wie in den USA. Doch nur eine Minderheit der 188 bei der UNO gemeldeten Staaten sind Demokratien. In der überwiegenden Mehrheit der Staaten dieser Welt ist es aus eingangs genannten Gründen lebensgefährlich, sich als Freimaurer zu erkennen zu geben.
Einer der ältesten bekannten Geheimbünde Europas waren die keltischen Druiden, die ihre Lehren nur mündlich und im Laufe mühseliger, langwieriger und umständlicher Lehrgänge an auserwählte Schüler weitergaben.2 Diese Tradition findet sich auch bei Freimaurern wieder, wenngleich weltweit sehr unterschiedlich gehandhabt. Zum Beispiel ist es in den Logen der amerikanischen Hauptstadt Washington streng untersagt, das Logenwissen und den Wortlaut der Rituale schriftlich weiterzugeben. Nur »from mouth to ear« ist es gestattet, die Neumitglieder einzuweihen, was oft ein langwieriger und mühseliger Prozess sowohl für den Tutor als auch für den Neuling sein kann, da der Text rein vom Hören her auswendig gelernt werden muss. Auf diese Art werden ja auch unter orthodoxen Juden und vielerorts in der islamischen und hinduistischen Welt die alten Weisheiten weitergegeben. Und im Grunde genommen haben auch Buddha, Sokrates und Jesus keine Schriften hinterlassen, sondern lehrten »von Mund zu Ohr«.
Blicken wir auf die Antike, auf das vorchristliche Ägypten, auf Griechenland und Vorderasien, dann stoßen wir auch dort auf Geheimgesellschaften, die Priester- oder »Mysterienbünde« genannt werden. Diesen Bünden ging es der Überlieferung nach um bestimmte Götter und Heilsbringergestalten wie Orpheus, Dionysos, Astarte (babylonisch Ischtar), Demeter, die...