DIE ›SOKO GESTALT‹
BAEKELS: Rehbein!
Bei ihrem halbitalienischen Temperament machte es mir immer wieder Freude, sie zu necken – ich mochte ihre temperamentvollen Reaktionen. Gerade, als ich erneut rufen wollte, stand sie in der Tür, rollte mit den Augen und sagte:
RIZZOLI: Sollte ich mich jetzt angesprochen fühlen? Ich heiße nicht Rehbein!
BAEKELS: Jaja, aber Sie sind dran mit Kaffeekochen …
RIZZOLI: Weil …? Ich bin die Kommissarin und Sie sind der … Therapeut?
BAEKELS: Profiler!
RIZZOLI: Hm, wieso überhaupt Rehbein? Bin ich etwa ältlich? Unsichtbar? Eine graue Maus? Was ist hier die Botschaft?
Jetzt rollte ich mit den Augen. So hatte ich es nicht gemeint. Auf die Frage reagierte ich lieber nicht: eine No-Win-Situation.
BAEKELS: Scherz?!
… schlug ich vor. Ihre Stimme behielt eine deutlich genervte Färbung:
RIZZOLI: Na schön, Bäkels.
BAEKELS: Mit A-E. Es handelt sich um das typisch niederrheinische Dehnungs-E.
RIZZOLI: E – qual è il tuo scopo, Baekels, Sie sind Ende der fünfziger Jahre geboren. Dafür können Sie nichts. Aber wieso ist Ihre Entwicklung in den siebziger Jahren stehen geblieben? ›Der Kommissar‹ – eine Sendung der ARD bis 1976. Haben Sie seither keine Fortbildung in Krimigeschichte gehabt? Schon mal vom Tatort gehört?
BAEKELS: Na klar. Aber ich bevorzuge Philip Marlow, Rockford, Magnum …
RIZZOLI: Achtung, Update: Inspector Barnaby, Castle, Life, Law & Order!
BAEKELS: Petrocelli? Die Straßen von San Franscisco!
RIZZOLI: Death in Paradise. Lie to me.
BAEKELS: Der Chef Ironside. Mannix, Matlock, Paul Temple, Percy Stuart, Miss Marple, Perry Mason.
RIZZOLI: Und ich erhöhe um ein paar deutsche Ausgaben: Bella Block, Alarm für Cobra 11, Küstenwache, Rosenheim-Cops.
BAEKELS: Polizeiruf 110.
RIZZOLI: Kommissar Rex: wuff!
BAEKELS: Pah! Simon Templar. T.J. Hooker. Kobra, übernehmen Sie. Ihr Auftritt, Al Mundy. Oder: Miami Vice!
RIZZOLI: The Glades.
BAEKELS: Pah, nicht vergleichbar. Kojak!
RIZZOLI: NYPD Blue. Blue Bloods.
BAEKELS: Hawaii Fünf-Null.
RIZZOLI: Hawaii Five-0!001
BAEKELS: Starsky & Hutch!002
RIZZOLI: Der Film?
BAEKELS: Die Serie!
Kurze Stille. Dann:
BAEKELS: Columbo.
RIZZOLI: Monk. Psych. Und: The Mentalist – Perception.003
BAEKELS: Emma Peel und John Steed – Mit Schirm, Charme und Melone.004
RIZZOLI: Bones – und ich bin Seeley Booth.005 Hauptsache nicht Der Alte. Oder Derrick ... Harry, hol den Wagen …
BAEKELS: Also schön, ich hab’s verstanden: Jessica Fletcher:
Mord ist ihr Hobby.
Sie funkelte mich finster an:
RIZZOLI: Wieder so eine alte Frau? Wow. Sie sind wirklich Der letzte Bulle.
BAEKELS: Und Sie sind definitiv Kein Engel für Charlie – die Serie, nicht der Film.
So konnte das nicht weiter gehen. Ich machte ein Friedensangebot:
BAEKELS: Ok. Wie wär’s mit Sherlock Holmes und Dr. Watson.
RIZZOLI: Elementary!006
BAEKELS:Cagney und Lacey!
RIZZOLI: Nein danke. Ich nehme etwas unter 70: Rizzoli! Genau! Nur … Sie sind kein Dr. Isles!
BAEKELS: Na schön: Regel 15: ›Arbeitet immer als Team!‹
Jetzt war sie überrascht.
RIZZOLI: Gibbs? NCIS007 – oh, ich verstehe: Regel 36 – ›Wenn Du das Gefühl hast, man spielt mit Dir, stimmt es wahrscheinlich.‹
BAEKELS: Lustig … doch hier gilt eher die Regel drei: ›Glaube nie, was man Dir erzählt; überprüfe es!‹
Erst jetzt nahm ich wahr, dass sie zwei recht gewichtig aussehende Ordner unterm Arm trug. Sie warf den Stapel mit Schwung auf meinen Schreibtisch und lächelte. Hielt sie das eben für einen Sieg?
RIZZOLI: Hier ist: CSI und die Vorarbeiten zu Criminal Minds!
Ich tat, als hätte ich sie nicht verstanden, und zuckte mit den Schultern.
RIZZOLI: Crossing Jordan?
BAEKELS: Quincy!
RIZZOLI: Der kriminaltechnische Bericht und das vorläufige Täterprofil …
Klar! Seit dem Anruf vom Oberstaatsanwalt heute Morgen hatte ich herumtelefoniert, um etwas über diesen neuen Fall herauszubekommen.
RIZZOLI: Ach ja, O. Fürst wird übrigens zur Morgenrunde kommen.
BAEKELS: HIER HER? Wieso kreuzt der hier auf?
RIZZOLI: Er möchte sich über den Stand der Ermittlungen informieren. Außerdem bringt er einen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft vorbei.
BAEKELS: Wieso – kann der nicht selber laufen?
Sie rollte mit den Augen, legte ihren rechten Arm auf einem Aktenschrank ab und begann, mit den Fingernägeln auf dem Holz zu trommeln.
RIZZOLI: Er meint, wir könnten in diesem Fall Unterstützung gebrauchen.
Das machte mich misstrauisch:
BAEKELS: Wen? Wen bringt er mit?
Sie hob einen der Aktendeckel an, blätterte kurz in den Unterlagen und verkündete das Urteil:
RIZZOLI: Einen Benjamin Viekus – kennen Sie den?
BAEKELS: Mmmmh, seit ein paar Jahren zeigt O. Fürst ein auffälliges Interesse an der »Neuen« Phänomenologie von Herman Schmitz. Viekus ist sein Adlatus.
RIZZOLI: Aha?
BAEKELS: Schmitz ist ein emeritierter Philosophieprofessor aus Kiel. Fürst ist bei dem sogar in Supervision!
RIZZOLI: Ein Philosoph, der sich mit Ermittlerarbeit auskennt?
BAEKELS: Keineswegs. Also: gar nicht.
RIZZOLI: Und dennoch supervidiert er ihn?
BAEKELS: Keine Ahnung wie das funktioniert … In jedem Fall bezieht sich unser Herr Staatsanwalt auf den; er glaubt mit seinen Theorien unsere Arbeit zu revolutionieren oder sowas … Schmitz schreibt viel. Bändeweise. Aber ich bin skeptisch: Wieso soll ich dessen Ideen toll finden? Bloß weil der Staatsanwalt das so sieht?
RIZZOLI: Das wird Fürst aber nicht gefallen, dass sie seine Theorien nicht mögen. Ok, unser Staatsanwalt bezieht sich auf Schmitz
BAEKELS: Was soll O. Fürst machen – mich rauswerfen? Er möchte, dass sich alle hier im Hause mit der »Neuen« Phänomenologie beschäftigen. Das tue ich. Nur, unsere Lehrbücher basieren immer noch auf Perls und anderen Gestalttherapeuten – und nicht auf dem Philosophen Schmitz!
RIZZOLI: Va bene – Ihre Abneigung allein reicht allerdings auch nicht für eine Verurteilung – oder eine Vorverurteilung.
Ich brummte eine missmutige Zustimmung. Schmitz’ Ansichten würde ich mir genauer ansehen müssen. Vielleicht waren dessen Ansätze ja doch irgendwie bahnbrechend, wegweisend oder horizonterweiternd.
BAEKELS: Was für eine Verschwendung. Diese dämliche Besprechung kommt zu früh …
RIZZOLI: Wieso? Wollen Sie keinen Überblick der bisherigen Untersuchungsergebnisse?
BAEKELS: Schon – aber nicht jetzt. Normalerweise gehe ich lieber erst zum Tatort, schaue mich um, sehe, was der Täter sah, spüre was der Täter spürte. Als Ermittler muss ich mich in ihn …
RIZZOLI: Oder sie …
BAEKELS: … oder sie hineinversetzen.
RIZZOLI: Sie gehen von Erlebnissen aus. Phänomenologisch. Wieso haben Sie dann ein Problem mit Schmitz?
BAEKELS: Polizeiarbeit ebenso wie Gestalttherapie ist phänomenologisch; das alleinige Ziel ist Awareness.008 Dazu genügt mir auch eine philosophische Fundierung durch Husserl, der im neunzehnten Jahrhundert seine Phänomenologie begründete.
RIZZOLI: Ah … der. Von ihm stammt doch die Anforderung: »Es bedarf nicht der Forderung, mit eigenen Augen zu sehen, vielmehr: das Gesehene nicht unter dem Zwang der Vorurteile wegzudeuten.«009 Wie gesagt, das gilt für Polizisten und Therapeuten.
BAEKELS: Die Antwort ist: ja, das ist phänomenologisch und naja, wir werden sehen.
Sie ging in Richtung Ausgang, wandte sich dann aber nochmals zurück.
RIZZOLI: Übrigens, Kollege Reich hat angerufen. Er meldet sich krank und schlägt vor, einen anderen Fahnder hinzuzuziehen.
BAEKELS: Hat er auch einen brillanten Vorschlag? Vielleicht ›Hubert und Staller‹?
RIZZOLI: Haha. Das ist ja so wahnsinnig ›Heiter bis tödlich‹! Nein, er schlägt Freud vor. Er sei einer der Ersten im Metier.
Ich stöhnte. War heute eigentlich Freitag der 13.?
BAEKELS: Freud? Wirklich? Der Ödipus von der Sitte?
RIZZOLI: Genau der … Keine gute Idee?
BAEKELS: Nein, danke. Bei ihm wird jede Ermittlung zur Sexualstraftat. Und dann müssen wir uns fünfzigstündige Analysen der Lage, endlose Hintergrundberichte und so ’n Zeug anhören. Anschließend wissen wir alles über jede Person im Leben der Opfer, sind aber keinen Schritt weiter. Der Typ ist Archäologe, kein Ermittler.
RIZZOLI: Ja, stimmt schon. Für den hab ich mal eine Hintergrundrecherche gemacht. Anschließend erzählt mir sein Kollege etwas von »Erziehung zur Analyse durch Analyse.«010
BAEKELS: Klingt nach dem Alten. Also, Reh … ok … ähm, Rizzoli! Das ist die Lage: O....