1 Einleitung
1.1 Allgemeines
Häufigkeit Handfrakturen machen je nach Erhebung ein Fünftel bis ein Viertel aller auftretenden Frakturen aus. Die Häufigkeiten der Frakturlokalisationen innerhalb der Hand werden dabei sehr unterschiedlich beziffert, wobei offensichtlich länderspezifische Faktoren eine Rolle spielen. Frakturen der Finger und der Mittelhand sind am häufigsten, die der Handwurzel kommen deutlich seltener vor. Innerhalb der Handwurzel ist in über 75% das Skaphoid betroffen, gefolgt vom Triquetrum mit knapp über 10%. Frakturen von Trapezium, Hamatum, Pisiforme, Lunatum und Trapezoideum liegen jeweils bei 3% und darunter.
Der Anteil der Frakturen im Kindesalter wird mit bis zu knapp 30% angegeben, also eine beachtliche Anzahl. Frakturen, die sich zwischen dem 17. und 40. Lebensjahr ereignen, stehen jedoch insbesondere beim männlichen Geschlecht weit im Vordergrund. Diese treten in fast 50% im Arbeitsumfeld auf und zu etwa 20% während der Freizeit. Das bedeutet, dass ein sehr hoher Anteil von Frakturen der Hand Patienten im erwerbsfähigen Alter betrifft. Im Zeitalter der wirtschaftlichen Effizienz sollte bei der arbeitenden Bevölkerung auch die möglichst frühzeitige Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess gewährleistet sein. Dieser Aspekt ist bei der Wahl der Therapie mit zu berücksichtigen.
Wiederherstellung der Funktion Betrachtet man die Bedeutung der Hand für das tägliche Leben, kommt der optimalen Versorgung der Hand-/Fingerunfälle eine große Wichtigkeit zu. Das Ziel ist, durch eine schnellstmögliche endgültige Versorgung eine komplette Wiederherstellung der Funktion zu erreichen. Dabei müssen alle funktionswichtigen Strukturen der Weichteile (Nerven, Sehnen, Gefäße, Gleitgewebe, Ligamente) chirurgisch – wenn immer möglich – primär mit versorgt werden.
Zur Wiederherstellung der Funktion ist bei Knochenfrakturen diejenige Methode (konservativ – operativ) anzuwenden, welche die sicherste und schnellste Konsolidierung der Fraktur gewährleistet, um eine möglichst frühe funktionelle Nachbehandlung zu ermöglichen. Dabei muss unter den gegebenen Möglichkeiten die Therapie mit der geringsten Komplikationsrate ausgewählt werden. Dies wiederum bedarf einer langjährigen handchirurgischen Erfahrung!
Da bei identischen Frakturtypen an unterschiedlichen anatomischen Orten (Fingerstrahl und/oder Fingerglieder) verschiedene Operationsmethoden zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen, muss stets für jede Lokalisation die Behandlung ausgewählt werden, die am sichersten zum Erfolg führt.
Übungsstabilität Wenn eine operative Therapie angestrebt wird, liegt das besondere Augenmerk auf der Übungsstabilität.
Stabilität bedeutet das harmonische Gleichgewicht von komplexen statischen und dynamischen Systemen. An der Hand gewährleisten dies das Zusammenspiel von sensibler und motorischer Innervation, Motorik, Durchblutung und als Gerüst die statische Konstanz, das stabile Skelett. Wenn es durch Änderungen der komplexen harmonischen Systeme zu Strukturveränderungen kommt, bei denen sich der ursprüngliche Zustand nicht wieder einstellt (z.B. Verlust der Stabilität durch Fraktur), besteht eine Instabilität. Äußere Einflüsse, aber auch Störungen der inneren Dynamik können diese Strukturveränderungen herbeiführen.
Übungsstabilität ist ein stabiler Zustand – etwa wenn das Skelett durch operative Maßnahmen wiederhergestellt wurde –, der auch unter dem Einfluss geringer Änderungen und Belastungen das harmonische Zusammenspiel der komplexen Systeme noch gewährleistet. Vor jeder Entscheidung zu einer operativen Osteosynthese muss daher sehr genau erwogen werden, ob das Ziel einer Übungsstabilität mit der Osteosynthese überhaupt erreicht werden kann.
Viele Frakturen sind per se, z.B. durch Einstauchung, insbesondere im metaphysären Bereich, ausreichend bzw. relativ stabil, um nach kürzerer konservativer Ruhigstellung frühfunktionell behandelt werden zu können. Diese Frakturen sollen dann – solange keine wesentlichen Achsabweichungen oder/und Rotationsfehler bestehen – konservativ behandelt werden.
Eine geschlossene wie auch eine offene Reposition führt in solchen Fällen oft zu einer Instabilität.
1.2 Empfehlungen
Folgende Ratschläge resultieren aus dem Versuch, empirische Erfahrungen sowie experimentelle In-vitro- und In-vivo-Ergebnisse annähernd in Richtlinien zusammenzufassen:
Konservative Behandlung Die sicherste Ausheilung einer Fraktur erfolgt durch die sekundäre Knochenbruchheilung (s. Kapitel ? 2.1). Voraussetzungen sind ein Frakturhämatom und eine ausreichende relative Ruhigstellung in der Frühphase sowie eine genügende Stabilisierung in der Übergangsphase vom weichen bindegewebigen Kallus zum festen ossären Kallus. Bei der konservativen Therapie sind – bei regelrechter Anwendung – diese Voraussetzungen gewährleistet. Das bedeutet, dass die konservative Behandlung von Frakturen die Therapie der ersten Wahl ist.
Operative Maßnahmen Bei entsprechender Indikation (s. Kapitel ? 4.3) sind operative Maßnahmen notwendig. In diesen Situationen muss sorgfältig geprüft werden, ob nicht durch eine Operation eine sekundäre Knochenbruchheilung gestört wird.
Somit sind alle perkutanen Operationsmethoden, bei denen Frakturhämatom und Fraktur nicht tangiert werden, die nächste Option. Diese Voraussetzungen erfüllen die perkutane Adaptationsosteosynthese (s. Kapitel ? 10.6, ? 10.10.3, ? 10.11, ? 10.13) und der Fixateur externe (s. Kapitel ? 10.12). Nachteilig ist bei der perkutanen Operationstechnik die zusätzliche äußere Ruhigstellung, beim Fixateur externe außerdem die aufwendige Pflege, um Komplikationen zu vermeiden, und die mögliche fehlende Akzeptanz durch den Patienten.
Innere Fixation Besteht eine absolute Indikation zur Operation mit innerer Fixation (s. Kapitel ? 4.3), gilt anhand der Erfahrung Folgendes:
Gelenkfrakturen mit Stufenbildung sind stufenlos zu stabilisieren, wenn möglich mit interfragmentärer Kompression (s. Kapitel ? 10.4, ? 10.6, ? 10.7.1).
Instabile metaphysäre Frakturen müssen osteosynthetisch stabilisiert werden. Aufgrund der relativ hohen Heilungspotenz der Spongiosa im metaphysären Bereich reicht in der Regel eine adaptierende Fixation, wobei geringe Mikrobewegungen die Frakturheilung zu fördern scheinen. Eine zu starre Konstruktion kann eine Heilung behindern. Winkelstabile Fixation ist im Schaftbereich, falls überhaupt notwendig, erlaubt, im metaphysären Frakturfragment nicht zwingend notwendig, u.U. kontraproduktiv.
Bei Schaftfrakturen von Röhrenknochen muss streng geprüft werden, ob eine Fraktur (Quer-, Schrägfraktur) vorliegt, die durch eine interfragmentäre Kompression (s. Kapitel ? 10.7.1) mittels entsprechender Operationstechniken so fixiert werden kann, dass eine primäre Knochenbruchheilung sicher gewährleistet ist (s. Kapitel ? 2.2).
Die bei Zugschraubenanwendung häufig zusätzlich erforderliche Neutralisation der von außen einwirkenden Kräfte erfolgt mit einer Neutralisationsplatte (Kapitel ? 10.5), die nicht zwangsläufig winkelstabil sein muss, sondern auch eine regelrecht angebrachte Standardplatte oder Hybridplatte sein kann.
Wenn ausschließlich eine winkelstabile Versorgung in Erwägung gezogen wird, sollte bei Quer- und Schrägfrakturen operationstechnisch zuerst eine interfragmentäre Kompression hergestellt werden.
Inwieweit sich die Technik mit den dynamischen Kopfverriegelungsschrauben (Dynamic Locking Screw [DLS] bzw. Far-cortical-Locking-Technik) durchsetzt, ist derzeit nicht absehbar, insbesondere im Bereich der Hand.
Bei ausgedehnten Trümmerzonen, besonders im tubulären Schaftbereich, kommt die überbrückende Plattenosteosynthese zum Zug, der Fixateur externe (Kapitel ? 10.12) muss aber ebenfalls diskutiert werden. Die Überbrückung kann sowohl mit der Standardplatte als auch mit der winkelstabilen Platte, die hier evtl. Vorteile bietet, erfolgen (s. Kapitel ? 10.7, ? 10.8).
Es besteht zurzeit ein Konsens, an Mittel- und Grundgliedern Plattenosteosynthesen zurückhaltend anzuwenden, während sie an der Mittelhand neben den intramedullären Techniken (s. Kapitel ? 10.11) vermehrt zum Einsatz kommen.
Vorwiegend an Mittel- und Grundgliedern besteht trotz optimaler Operationstechnik die Gefahr einer postoperativen Bewegungseinschränkung durch Verklebungen der Gleitschichten an Sehnen und Gelenken sowie durch Kallusbildung, was die Anwendung der inneren offenen Osteosynthesen auch im Falle einer erreichbaren Übungsstabilität einschränkt.
Bei intraartikulären luxierten Trümmerfrakturen hat sich die funktionelle Extensions-/Traktionsbehandlung bewährt (s. Kapitel ? 10.15), obgleich sich auch bei nicht luxierten intraartikulären Frakturen durch eine frühfunktionelle Behandlung ein erstaunliches „Remodelling“ der Gelenkflächen einstellt.
Fazit Gelingt es nicht, durch offene Osteosynthese eine Übungsstabilität zu...