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E-Book

OSTERMEIER

AutorGerhard Jörder, Thomas Ostermeier
VerlagVerlag Theater der Zeit
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl150 Seiten
ISBN9783957490186
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Thomas Ostermeier ist einer der bekanntesten europäischen Theatermacher und gilt vielen als 'das Gesicht des modernen deutschen Theaters' (DIE ZEIT). Seine großen Ibsen-Inszenierungen und sein 'Hamlet' mit Lars Eidinger touren durch alle Kontinente; die Berliner Schaubühne, die er seit 1999 künstlerisch leitet, wird international gefeiert. Im Gespräch mit Gerhard Jörder erzählt Thomas Ostermeier von seinem Weg zum Theater, das ihm nach den Konflikterfahrungen seiner Jugend 'eine Art Lebensrettung' wurde. Selbstbewusst und selbstkritisch, offensiv und nachdenklich rekapituliert er die frühen Triumphe an der Baracke des Deutschen Theaters, die schwierigen Anfänge an der Schaubühne und den wachsenden Erfolg seines politisch engagierten realistischen Theaters gerade beim jungen Publikum. Entschieden kritisiert er die apolitische Haltung seiner Generation, den postmodernen Mainstream und die verengten ästhetischen Diskurse des deutschen Theaters, leidenschaftlich bekennt er sich zu den festen Institutionen der Kultur, zur Ensemble-Idee und zur kreativen Arbeit mit den Schauspielern - Kern seines Verständnisses von einem zeitgemäßen Theater, das nicht Formen, sondern Menschen zum Mittelpunkt macht. Mit einem Vorwort von Gert Voss

Gerhard Jörder, geboren 1943 in Pamplona/Spanien. Theaterkritiker, Moderator und Dozent. Autor der ZEIT. Er war und ist Mitglied in mehreren Jurys (Berliner Theatertreffen, Else-Lasker-Schüler-Preis, Autorentheatertage, Ulrich-Wildgruber-Preis, Körber Studio für Junge Regie), hat elf Jahre lang die Autorengespräche bei den Mülheimer Theatertagen geleitet und unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und Akademien. 2013 erhielt er den Marie- Zimmermann-Preis für Theaterkritik. Er war von 1998 bis 2001 verantwortlicher Theaterredakteur und (gemeinsam mit Sigrid Löffler) stellvertretender Feuilletonchef bei Die Zeit, lebt in Berlin und Freiburg.

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Leseprobe

Der blaue Vogel von Maurice Maeterlinck, Deutsches Theater 1999, André Szymanski, Kay Bartholomäus Schulze, Nina Hoss, Horst Lebinsky, Falk Rockstroh

Hat Sie keiner vor den Tücken des Stücks gewarnt? Kein Intendant, kein Dramaturg?

Leider nein. Das ist die Sorglosigkeit des Betriebs. Und ich selbst, ich Idiot, war ja so verliebt in die Idee. Formal war das Ergebnis, zumindest teilweise, gar nicht so schlecht. Bloß das Inhaltliche war natürlich totaler Humbug. Ich weiß heute noch, als das Bühnenlicht verlosch, noch vor dem Applaus, fragte eine Stimme aus dem Zuschauerraum ins Dunkle hinein: Warum? Ja, warum – das war die völlig richtige Frage.

Maeterlincks Blauer Vogel war Ihre letzte Tat am Deutschen Theater, denn jetzt, zur Spielzeit 1999/2000, übernahmen Sie die Künstlerische Leitung der Schaubühne – eines Theaters also, das in der Ära von Peter Stein zur bedeutendsten Bühne Europas aufgestiegen war, zu einem Wallfahrtsort für die Aficionados der ganzen Theaterwelt. Anfangs teilten Sie sich die Leitung mit Jens Hillje, Ihrem dramaturgischen Mitstreiter aus der Baracke, und mit dem Tandem Sasha Waltz/Jochen Sandig, das im Leitungsquartett das Tanztheater vertrat. Der führende Kopf dieser Viererbande, daran gab es auch schon damals keinen Zweifel, waren Sie. Ein paar Jahre später, nach dem Abgang der Tanztruppe und dem Abschied von Hillje, standen Sie allein in der künstlerischen Verantwortung. In welchen Köpfen eigentlich war diese doch recht waghalsige Idee entstanden, einen gerade mal 29-jährigen Newcomer an die Spitze eines weltberühmten, fast schon legendären Hauses zu berufen? War der Gedanke womöglich zuallererst Ihrem eigenen Kopf entsprungen? Es würde mich nicht wundern. In einem ZEIT-Interview, das ich damals mit Ihnen und Ihren drei Kombattanten geführt habe, sagte Sasha Waltz, Sie hätten schon 1996, als man sich kennengelernt habe, ein enormes Selbstbewusstsein ausgestrahlt und zu ihr gesagt: Ich brauche ein eigenes Haus!

Ja, wir hatten zwar in der Baracke häufig darüber geschwelgt, wie schön wir es dort hatten. Aber es war eben nur eine Hütte, kein Ort, an dem man ernsthafte Ensemblepolitik gestalten konnte. Alles war begrenzt. Ich wollte unabhängig sein.

Mit dem Erfolg der Baracke im Rücken lag es ja nahe zu sagen: Wir können noch mehr.

Ja, aber dahinter steckte viel weniger Strategie als ein Gefühl. Als wir 1998 „Theater des Jahres“ wurden, haben wir das doch eher achselzuckend zur Kenntnis genommen, uns waren solche Kategorien noch völlig fremd. (lacht) Nein, es war mehr so eine Lust am Größenwahn: die ganze Welt umarmen und alles wollen!

Und wie hat sich der Größenwahn dann peu à peu in konkrete Entscheidungen umgesetzt?

Daran waren wohl mehrere beteiligt. Ich hatte damals immer wieder Kontakt mit Uli Matthes, der meine Arbeiten in der Baracke genau verfolgt hatte und der ja, Sie wissen es, schon immer ein aufmerksamer Beobachter von Talenten in der Theaterszene war. Irgendwann muss ich zu ihm gesagt haben: Menschenskind, Schaubühne, das wär schon ein Ding! Matthes, der ja selbst noch Mitglied im alten Ensemble war, hat den Namen Ostermeier dann wohl auf der Gesellschafter- und Direktionsebene, bei Jürgen Schitthelm und Gerhard Ahrens, fallen lassen. Auch Jutta Lampe und Corinna Kirchhoff hatten sich das eine oder andere in der Baracke angeguckt – es war an Peter Steins Mitbestimmungsbühne ja durchaus Usus, dass Schauspieler selbst nach Regisseuren Ausschau hielten. Wahrscheinlich haben auch sie mit Schitthelm und Ahrens gesprochen – tatsächlich sind die beiden dann auf mich zugekommen. Auch sie hatten in der Baracke schon vieles gesehen, jedenfalls war ich in den ersten Gesprächen mit Schitthelm erstaunt, was er alles von mir wusste. Im Rückblick muss man sich ja wirklich fragen: Woher hat Schitthelm diesen Mut genommen – oder war es der Mut der Verzweiflung? Das Haus war ja, nach dem Abgang von Peter Stein, nach den Querelen mit Andrea Breth, in einer trostlosen Verfassung. Jedenfalls: Hut ab, das war Wahnsinn. Schitthelm hat für seine Entscheidung auch viel Schelte einstecken müssen in der Berliner Presse.

Als Schitthelm Ihnen die Schaubühne offerierte, war Ihnen da von vornherein klar, wie Sie dieses Haus neu gestalten und bespielen wollten? Oder gab es alternative Optionen?

Allerdings! Es gab für uns zwei völlig unterschiedliche Varianten – und zuerst schien mir die Option ganz klar: Wir übernehmen das Modell des Londoner Royal Court Theatre, es war uns durch die Zusammenarbeit mit der Baracke schon vertraut. Das hätte also geheißen: Wir spielen neue Autoren, gerne auch mal Bearbeitungen klassischer Texte, für jede Produktion wird ein Ensemble zusammengestellt. Ich bin, als das Angebot der Schaubühne auf dem Tisch lag, sofort nach London gefahren und habe dort mit Stephen Daldry vom Royal Court als einem der Ersten darüber gesprochen. Daldry war der Entdecker von Autoren wie Kane, Ravenhill und Crimp, später ist er den Weg nach Hollywood gegangen. Ein engagierter, vitaler Mann, aus der Arbeiterklasse kommend, mit viel Lust in seiner Biografie stehend, ich fühlte mich ihm sehr nah. Und seine Art, Theater zu machen, hat mir sehr imponiert. Aber es gab eben auch die andere Variante. Mein linksradikaler Hintergrund, meine Erfahrungen in der Szene, Häuserrat, Mitbestimmung, Diskussionen im Kollektiv, flache Hierarchien, angstfreie Diskurse, soziale Gerechtigkeit – alle diese Phänomene spielen ja in meiner Biografie eine große Rolle. Und das hat letztlich den Ausschlag gegeben: Das System, sagte ich mir, bietet dir Gestaltungsraum, du kannst hier eine kleine, bewohnbare Insel schaffen, ein richtiges Leben im falschen. Und das haben wir dann versucht. Ich hab mich für die Verantwortung entschieden.

Und mussten dann sogleich drei Grundsatzentscheidungen fällen. Es ging erstens um die künftige Zusammensetzung des Ensembles, zweitens um die Hereinnahme des Tanztheaters von Sasha Waltz und drittens um das Mitbestimmungsmodell. Über die Neubildung des Ensembles kursierten damals Horrorgerüchte. Eine Regiegröße der alten Schaubühne hatte in einem Interview gesagt, es gebe da einige junge Männer, die in SA-Manier Häuser leer räumten

Ja, das war eine direkte Volte gegen mich. Man wollte den Mythos befeuern, ich hätte die Koryphäen des alten Schaubühnen-Ensembles, Jutta Lampe, Edith Clever, Corinna Kirchhoff und wie sie alle heißen, einfach rausgeschmissen. Nichts davon ist wahr! Ich musste gar niemand rauswerfen, die waren doch gar nicht mehr da. O.k., da gab es noch ein paar luxuriöse Gastverträge mit sagenhaften Gagen und Konditionen … Aber ich habe definitiv keine festen Verträge aufgelöst. Das Haus war längst leer, glauben Sie mir! Nicht weil ich es leer geräumt hätte, sondern weil es sich selbst auf allen Ebenen leer gespielt hatte, beim Publikum, in den Inhalten, in der Leitung. Das Ensemble hatte sich selber pulverisiert.

Aber warum haben Sie keinen der großen Schaubühnen-Stars weiter verpflichten wollen?

Ich wollte tatsächlich nicht, dass unser ohnehin schwieriger Anfang noch dadurch belastet würde, dass jemand in der Kantine immer erzählt, wie toll es früher war unter Peter Stein. Das haben in der Stadt sowieso alle erzählt, ins eigene Haus wollte ich mir das nicht noch holen. Und selbst zu Uli Matthes, der von Anfang an bei uns mitmachen wollte, habe ich gesagt: Uli, gib uns bitte zwei Jahre! In dieser Zeit müssen wir beweisen, dass wir aus unserer Generation heraus selbst diesen Laden bespielen können. Und dann, bitte, kommt, ihr seid alle herzlich willkommen … Und das darf man nun auch nicht vergessen: Nach und nach haben viele frühere Ensemblemitglieder bei uns gespielt, Hans Diehl, Werner Rehm, Gerd Wameling, Jutta Lampe, Corinna Kirchhoff.

Aber Uli Matthes nie. Warum?

Weil er dann am Deutschen Theater durchstartete.

Nächstes Stichwort: Sasha Waltz. Wie war die Idee aufgekommen, mit ihr, mit dem Tanztheater zusammenzuarbeiten?

Die kam von mir. Ich wusste, so ein Haus muss man auf mehrere Schultern stellen. Und das war der richtige Instinkt.

Schauspiel und Tanz, Baracke und Sophiensäle: Sollten hier einfach, taktisch clever, zwei junge Berliner Erfolgsgeschichten fusioniert werden oder gab es zwischen den beiden Ensembles auch eine verbindliche Intention, ein gemeinsames künstlerisches Wollen? Sie waren ja so sehr von allem physischen Theater fasziniert, und Sasha Waltz’ Tanz war in den Anfangsjahren stark narrativ geprägt.

„Dieses Theater steht uns zu“: Das neue Leitungsteam der Schaubühne Jochen Sandig, Sasha Waltz, Jens Hillje und Thomas Ostermeier, 1999

Ja, nicht-narrativ wurde sie erst später, in der Schaubühnen-Zeit. Wissen Sie, was uns am meisten vereint hat? Wir waren beide völlig unbeleckt von dieser in der Kulturlandschaft grassierenden Bedenkenträgerei. Wir wollten nach...

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