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Mutprobe - Zivilcourage kann man lernen

AutorSigmund Gottlieb
VerlagRosenheimer Verlagshaus
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783475544118
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Was ist eigentlich Mut? Warum wird so viel über Mut gesprochen und gleichzeitig so wenig Mut gezeigt? Wie reagiere ich, wenn ich vor meiner persönlichen 'Mutprobe' stehe und warum fehlt mir eigentlich so oft der Mut? Diesen Fragen geht Sigmund Gottlieb auf den Grund. Er hinterfragt, wie es bei Politikern und in den Medien, aber auch im Alltag eines jeden Menschen und unserer Gesellschaft um den Mut bestellt ist. Er zeigt Vorbilder, die uns die Bedeutung von gelebter Zivilcourage vor Augen führen. Er will zum Nachdenken anregen und Fragen stellen, auf die jeder Leser seine eigene Antwort geben muss. Nur so können wir uns zu einer starken Gemeinschaft entwickeln, mit der festen Überzeugung: Zivilcourage kann man lernen!

Sigmund Gottlieb, geboren 1951 in Nürnberg, begann seine journalistische Karriere beim Münchner Merkur. Bundesweite Bekanntheit erlangte er in den 80er Jahren als Bonn-Korrespondent und Moderator des 'Heute Journal' im ZDF. Seit 1995 ist Sigmund Gottlieb Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, seit 2001 stellvertretender Fernsehdirektor. Er erhielt eine Vielzahl journalistischer Preise und ist seit 2005 Honorarprofessor für Journalistik an der Fachhochschule Amberg-Weiden.

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Leseprobe

Alle reden über Mut – warum?


Warum ist es an der Zeit, über Mut und Zivilcourage nachzudenken? Warum stellt sich die Mutfrage gerade jetzt? War dies nicht schon immer ein Thema und eine Tugend, deren Fehlen oder Vorhandensein, deren stärkere oder schwächere Ausprägung, je nach Charakter oder Gelegenheit, menschliches Handeln mitbestimmt haben? Hat sich diese Tugend in den vergangenen Jahrzehnten verändert, und wenn ja, wie?

Könnte es sein, dass uns die Saturiertheit eines Jahrzehnte gelebten Wohlstandsdaseins Mut-los macht, uns mutiges Handeln weniger notwendig erscheinen lässt als noch ein halbes Jahrhundert vorher, als es noch »um etwas ging«: ums Überleben, um den Wiederaufbau eines zerstörten Landes, um das Wagnis eines demokratischen Experiments nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs? Könnte es sein, dass die elementaren Herausforderungen bei der Bewältigung des Alltags mit seinen täglichen Problemen und oft unvorhersehbaren Schwierigkeiten den Menschen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration ein weitaus höheres Maß an Mut als heute abverlangt haben – in einer Zeit und einer Lebenssituation, in der es zunächst ums eigene Überleben und um die Bewahrung der Freiheit ging?

Diese Dimension des Erlebens und Empfindens ist vielen von uns im Westen der Republik inzwischen abhanden gekommen. Wir haben verlernt, so zu fühlen – ganz anders als die Deutschen, die bis vor zwanzig Jahren im deutschen System der Unfreiheit und Unterdrückung überlebt haben.

Diese mentale Veränderung der Deutschen alleine wäre noch lange kein Grund, darüber nachzudenken, ob es uns zu Beginn dieses 3. Jahrtausends an Mut und an Zivilcourage fehlen könnte. Mut zeigt sich weniger als Eigenschaft eines Volkes oder einer Nation, sondern drückt sich in der Haltung von Individuen aus. Diese zeichnen sich in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht dadurch aus, dass sie in den meisten Lebenslagen den Mut als oberste Tugend praktizieren. Wer von uns könnte nicht durch eigene Erfahrung bestätigen, dass er eher zum Kompromiss neigt, zum Mitläufertum, zur Mehrheitsmeinung, dass er Druck lieber nachgibt, als dass er sich in seiner Haltung vom Mut leiten lässt?

Pablo Picasso hat einmal gesagt, unter den Menschen gebe es viel mehr Kopien als Originale. In der Analogie liegt die Vermutung nahe, dass viel mehr Feiglinge oder zumindest Gleich-Mütige unter uns sind als mutige Menschen. Wem es an Mut fehlt, der muss jedoch nicht gleich feige sein. Bei vielen Gelegenheiten sind wir vielleicht nur zu träge, um eine mutige Entscheidung zu treffen oder uns mutig in einer konfliktbeladenen Situation einzumischen. Wir müssten viel öfter unseren »inneren Schweinehund« überwinden. Mut ist bei den wenigsten von uns der alles beherrschende, herausragende Charakterzug. Mut unter Beweis zu stellen, hat etwas damit zu tun, Angst und Furcht und Hemmungen zu überwinden; denn zum Helden sind die meisten Menschen – wie gut – nicht geboren. Darin unterscheiden wir uns kaum von anderen Nationen. Auch das wäre also noch kein Grund zu fragen, ob uns in Deutschland während der vergangenen Jahre der Mut abhanden gekommen ist.

Gibt es darüber hinaus Entwicklungen, die einen solchen Schluss dennoch nahelegen? Seit Jahrzehnten gelten Verzagtheit und Mutlosigkeit als typisch deutsche Eigenschaften. »German Angst« wurde zu einem Begriff auf dem Globus und zu einer feststehenden Redewendung in allen Sprachen der Welt. »Keine andere Nation verkörperte so präzise eine Gefühlsregung, die über bloße Furcht hinausging, aber noch nicht in Panik ausartete«, sagt Roger Cohen, langjähriger Berlin-Korrespondent der »New York Times«. Natürlich hat diese deutsche Angst etwas mit der geschichtlichen Erfahrung der Menschen zu tun. Sie hatten alles verloren und mussten in der Stunde Null mit nichts anfangen. Diese Angst der Deutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand ihren Ausdruck vor allem in zwei Fragestellungen: Wie war der Massenmord an den Juden möglich geworden? Und konnte sich diese deutsche Grausamkeit womöglich wiederholen?

Diese Angst, diese fragende Ungewissheit begleitete viele Deutsche auch während der Wirtschaftswunderjahre. Der Mut und die Tatkraft der Jahre des Wiederaufbaus ließen zwar den Wohlstand wachsen, waren aber stets begleitet von einer düsteren Grundstimmung der Ängstlichkeit, wie es Helmut Schmidt ausdrückt.

Umso erstaunlicher ist es daher, dass die Mehrheit der Deutschen angesichts der großen Wirtschafts- und Finanzkrise der vergangenen Jahre unerwartet ruhig und gelassen geblieben ist. Der zumindest während der ersten Wochen der Krise bedrohlich erscheinenden Situation sind die bei anderen Gelegenheiten so furchtsamen Deutschen nicht verzagt, sondern mutig und besonnen begegnet. »German Lässigkeit« auf einmal, statt »German Angst«, wie Roger Cohen von der »New York Times« schreibt?

Es sieht ganz danach aus. Was aber sind die Gründe für diesen plötzlichen Verhaltenswandel der Deutschen? Vermutlich sind es mehrere Ursachen. Denkbar ist, dass die Deutschen ihre Ängste gar nicht verloren, sondern nur unterdrückt haben. Es wäre nur allzu verständlich, wenn angesichts dieser dramatischen Krisensituationen der Jahre 2008 bis 2010 die insgesamt ruhige, vernünftige und unaufgeregte Stimmungslage auch etwas mit Verdrängung zu tun hätte – nach dem Motto: Ich will gar nicht wissen, was auf mich zukommt. Ich mache mir keine Gedanken, ob mein Erspartes sicher ist. Ich denke gar nicht darüber nach, ob sich das gegenwärtige Schuldenfiasko eines nicht mehr fernen Tages in einer gewaltigen Inflation entlädt. Der von mir sehr geschätzte Schriftsteller Peter Schneider erklärt es so: »Die Deutschen haben Angst, ihre Angst zu zeigen.«

Selbst wenn die Mehrheit der Deutschen am wahren Ausmaß der Wirtschafts- und Finanzkrise interessiert gewesen wäre, so war es für sie unmöglich, sich ein realistisches Bild von der Lage zu machen. Wie sollte dies auch für Otto Normalverbraucher möglich sein, wenn der gebündelte Sachverstand dieser Republik und der ganzen Welt – von wenigen Ausnahmen abgesehen – das Drama weder kommen sah noch bis zum heutigen Tag plausibel erklären kann. Vom Banker bis zum Politiker, vom Unternehmenschef bis zum Wirtschaftswissenschaftler – die meisten von ihnen waren ratlos, sprachlos, überfordert.

Aber nicht alle! Auf dem Höhepunkt der Krise zeigte sich die Große Koalition handlungsfähig. Das war angesichts der Komplexität des Problems und des Zeitdrucks, zu einer Lösung zu kommen, alles andere als selbstverständlich. Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück erwiesen sich in dieser – nach Einschätzung des Chefs der Deutschen Bank, Josef Ackermann – »höchst gefährlichen Lage« als entscheidungsstarke Politmanager. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, der mit Lob nicht gerade großzügig umgeht, hat diese politische Leistung der Kanzlerin und ihres Finanzministers während zweier Interviews im Februar 2009 und im März 2010, die ich mit ihm führte, in besonderer Weise hervorgehoben. Auf einmal zeigte er sich also doch, der Mut der Politiker, das beherzte, das entscheidungsstarke Handeln, das wir zu Recht so oft vermissen! In der Finanzkrise öffnete sich für einige Monate ein Zeitfenster, dem über Nacht auch in unserer Republik Politiker entstiegen, die diesen Namen auch wirklich verdienten und die den überzeugenden Beweis dafür lieferten, wie professionelles Politmanagement in der dramatischen Situation einer Weltkrise funktionieren kann. Binnen weniger Wochen gewannen Politiker weltweit, aber in besonderer Weise in Deutschland, jene Autorität zurück, die sie während des vorangegangenen Jahrzehnts gegenüber den global agierenden Managern verloren oder an diese abgegeben hatten.

Auch die besorgte Kritik manches prominenten Wirtschaftsführers an den »zwei Entscheidungsgeschwindigkeiten – langsam im Ministerium, schnell im Unternehmen« lief plötzlich ins Leere. Stattdessen verkehrte Welt: Die Lenker von Multi-Milliarden-Konzernen griffen panisch zum Telefonhörer, um sich noch einen Platz unter dem staatlichen Rettungsschirm zu sichern. Was war geschehen? Auf einmal erlebten wir einen starken Staat. Entsprach dieses Erlebnis, das die Deutschen schon lange nicht mehr miteinander hatten teilen können, nicht ihrer tiefen Sehnsucht und einer jahrzehntelangen Gewohnheit in beiden Deutschländern, intensiv in Deutschland-Ost, stets stark spürbar auch in Deutschland-West, verbunden mit einem gemeinsamen Lebensmotto, unter dem sich die Deutschen gut und gerne durch die Jahrzehnte tragen ließen: Unser Staat wird es schon richten! Hier war es wieder, das gute Gefühl in der Krise, dass es ein starker Staat den »Raubtier-Kapitalisten« (Helmut Schmidt) in der gar nicht mehr sozialen, sondern entfesselt freien Marktwirtschaft schon zeigen werde. So etwas tat gut! Soviel Vertrauen der Deutschen in Politik und Staat hatte es schon lange nicht mehr gegeben wie in dieser Krise. Mit diesem starken Staat im Rücken, so hatte man den Eindruck, fiel es der Mehrzahl der Deutschen offensichtlich gar nicht schwer, die größte Krise seit achtzig Jahren gleichmütig an sich vorbeiziehen zu lassen.

Vielleicht gibt es einen weiteren Grund, warum die Deutschen so vernünftig und unverzagt auf die große Krise reagiert haben. Die – vermeintlichen – Vermittler der Wirklichkeit, die Medienmenschen, haben, abgesehen von wenigen Ausnahmen, in der Einordnung der Finanzkrise keinen Hysterieschub ausgelöst, sondern haben diese auch und gerade für Journalisten schwer durchschaubare Problematik einer noch nie dagewesenen Finanz- und Wirtschaftskrise alles in allem verantwortungsvoll an Leser, Hörer und Zuschauer weitergeleitet. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass in dieser Phase von den Journalisten aller...

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