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E-Book

Gesprächspsychotherapie Focusing Körperpsychotherapie

Prozesse verstehen, Prozesse begleiten

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783743182974
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
In diesem Buch wird das psychotherapeutische Verfahren der klientenzentrierten und focusingorientierten Körperpsychotherapie (GFK) vorgestellt. Theoriebeiträge, Interviews und Fallbeispiele werden in ihrer Vernetzung dargestellt und beschrieben. Der Fokus liegt auf lebendiger Begegnung, Beziehung und Interaktion. Die Schreibenden haben konsequenterweise auch das Entwickeln des Buchs als lebendigen Prozess verstanden. So ist aus der Mehrstimmigkeit der theoretischen und praktischen Beiträge ein Geflecht aufeinander bezogener Texte entstanden. Es ermöglicht das Entstehen unterschiedlicher Resonanzen in den Lesenden und doch auch ein Gefühl für das Ganze. Daraus kann sich ein grundsätzliches Nachdenken über Psychotherapie und Beratung, über ein hilfreiches Zusammensein mit Menschen, über Verstehen und Begleiten entfalten.

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Leseprobe

DER KLIENTENZENTRIERTE ANSATZ – EIN RADIKALES KONZEPT, EINE HERAUSFORDERNDE PRAXIS


Christiane Geiser

1940 – Der Beginn

Carl R. Rogers arbeitete damals an einer Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

In einem seiner späteren Aufsätze können wir nachlesen, wie er sehr humorvoll über seine (damals üblichen!) Versuche, hilfreich zu sein, berichtet:

„Ich wusste also – mit der Sicherheit eines frisch Ausgebildeten – wie man mit Menschen professionell umging. ... Ich werde eine Riesenmenge Daten über diesen Menschen sammeln: seine Lebensgeschichte, seine Intelligenz, seine besonderen Fähigkeiten, seine Persönlichkeit. Aus all diesem Material kann ich eine Diagnose erstellen, ich kann die Ursachen seines augenblicklichen Verhaltens sowie seiner persönlichen und sozialen Ressourcen aufzeigen und eine Prognose für seine Zukunft aufstellen. Ich werde mich bemühen, all dies den verantwortlichen Stellen, den Eltern und dem Kind – sofern es dies versteht – in einfacher Sprache zu erklären. Ich werde vernünftige Vorschläge zur Verhaltensänderung machen, und ich werde die Bemühungen um Veränderung durch häufigen Kontakt verstärken.

Bei all dem werde ich versuchen, objektiv zu sein und nur dann meine persönlichen Gefühle zu äussern, wenn dies zur Herstellung einer befriedigenden Beziehung notwendig ist... Zu meinem Erstaunen kam es manchmal vor, dass ein Junge nach einem besonders ‚guten‘ Gespräch, in dem ich ihm alle Ursachen seines Fehlverhaltens erklärt hatte, es am nächsten Tag ablehnte, mich zu sehen.“28

1940 hielt Rogers seine berühmt gewordene Rede an der Universität von Minnesota („Newer Concepts in Psychotherapy“). Er fasste noch einmal zusammen, was es in der Tradition des persönlichen Kontakts mit einem Individuum alles für Möglichkeiten gab, diesen Kontakt zu verwenden, um Verhalten zu ändern, Einstellungen fehlangepasster Personen auf ein konstruktiveres Ergebnis hin zu verändern, eine bessere Anpassung hervorzubringen. Alle Techniken, die er erwähnte, hielt er inzwischen für überholt, veraltet und unangemessen.

Ein Schlüsselerlebnis war ein Gespräch mit der Mutter eines „schwierigen“ Kindes gewesen:

„Es war eine Erfahrung von grösster Bedeutung. Ich war ihr gefolgt, nicht sie mir. Ich hatte einfach zugehört, anstatt sie zu dem diagnostischen Verständnis zu bringen, das ich schon erreicht hatte.“29

Damit verabschiedete er sich vom damals gültigen Expertentum.

Das war unerhört und revolutionär. Neben Begeisterung schlug Rogers auch heftige Kritik entgegen: Einfach zuhören? Die Expertenrolle verlassen? Die Macht aufgeben, die damit verbunden war? Aber Rogers blieb unbeirrt:

„Wenn man bedenkt, von welchen Annahmen ich ausgegangen war: dass der Mensch im Wesen böse ist; dass man ihn als professioneller Helfer am besten als Objekt behandelt; dass Hilfe sich auf Fachwissen gründen muss; dass der Experte den Einzelnen beraten, manipulieren und formen darf, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen.“30

Und dann die Quintessenz seiner Überzeugung:

„Ich merkte, dass ich mich nicht auf eine neue Methode eingelassen hatte, sondern auf eine andere Lebens- und Beziehungsphilosophie.“31

Dieser Philosophie sollte Rogers sein Leben lang treu bleiben.

Die Theorie

Im Zentrum der klientenzentrierten Konzeptbildung, wie Rogers sie formulierte, stehen Wenn-Dann-Hypothesen, die mit der Beziehung zwischen TherapeutIn und KlientIn zu tun haben.

Kurz gesagt: Wenn in einer Beziehung bestimmte Bedingungen vorhanden sind, dann können KlientInnen Erfahrungen machen, die für ihren Entwicklungsprozess günstig sind.

Häufig werden diese Haltungen verkürzt auf drei, aber Rogers hat ein Geflecht von sechs Bedingungen vorgesehen, die er als untrennbar miteinander verbunden und nur zusammen als „notwendig und hinreichend“ für eine therapeutische Wirksamkeit ansah.

Diese Bedingungen formuliert Rogers in seiner Frühzeit (1959)32 sinngemäss so:

  1. Zwei Menschen stehen in einem (psychologischen) Kontakt. Jeder macht im experienziellen Feld des anderen einen Unterschied.
  2. Der eine Mensch, der Klient, ist verletzlich, ängstlich, angespannt, in Not.
  3. Der andere Mensch, der Therapeut, ist sich während des Zusammenseins seines eigenen Erlebens in der Beziehung zum Klienten bewusst und kann es aufrichtig zur Verfügung stellen. Diese Haltung wird auch Authentizität, Echtheit oder Kongruenz genannt, sie wurde Rogers in seinem späteren Leben immer wichtiger.
  4. Der Therapeut erlebt sich als dem Klienten mit all seinen Eigenheiten und seinem gesamten Erleben ohne Bedingungen zugewandt (unconditional positive regard). Diese Haltung des Therapeuten wird auch Wertschätzung oder Akzeptanz genannt.
  5. Der Therapeut ist einfühlend (empathisch) und versucht, die Welt des Klienten so zu verstehen, wie dieser sie (er)lebt, wie sie in dessen Bezugsrahmen aussieht. Auf dem Weg dazu kann der Therapeut dem Klienten seine eigenen Erfahrungen mit diesem Verstehensprozess mitteilen.
  6. Der Klient ist zumindest in Ansätzen in der Lage, dieses Beziehungsangebot wahrzunehmen.

Die drei so genannten TherapeutInnenvariablen Kongruenz, Akzeptanz und Empathie sind, betont Rogers, eine theoretische Anforderung, die in der Praxis wohl kaum 100%ig zu erreichen, aber immer wieder neu mit jedem Klienten anzustreben ist.

Die BEZIEHUNG wird also als eigentlicher „Wirkfaktor“, wie man heute sagen würde, angesehen.

Schauen wir diese Bedingungen und ihre Wirkung genauer an:

Die Begriffe, die Rogers für die „TherapeutInnenvariablen“ verwendet, kommen auch in der Alltagssprache vor, und es kann leicht übersehen werden, welche Brisanz sie in einem professionellen Feld entwickeln können.

Akzeptanz heisst nicht: Einverstanden-Sein! Uns allen fallen Verhaltens- und Denkweisen anderer Menschen ein, mit denen wir zutiefst nicht einverstanden sind – weil wir anders denken, uns selber anders verhalten würden, weil das uns Fremde gegen eine persönliche oder gesellschaftliche Moral und Ethik verstösst – oder „nur“, weil wir finden, dass das doch für die andere Person nicht gut, nicht passend sei, wie sie da lebt – kurz: dass sie sich ändern muss. Aber genau dort hat Rogers immer darauf beharrt, dass es eine strikte Reihenfolge gibt:

„Mir scheint, dass wir in Zukunft unser Leben und unsere Erziehung auf die Annahme gründen müssen, dass es ebenso viele Wirklichkeiten wie Menschen gibt, und dass wir dies zuallererst akzeptieren müssen, bevor wir weitergehen.“33

Dieses „zuallererst ... bevor...“ ist wesentlich. Akzeptieren, wie dieser Mensch ist, mit seinem Erleben, seinen Handlungen, seiner Art und Weise, in der Welt zu sein – und das „bedingungslos“ tun, ohne Abwertung, ohne Änderungswunsch – das muss immer der erste Schritt sein. Erst so kann ich überhaupt einfühlend sein. Und erst danach können neue Schritte entstehen.

Empathie dient nicht nur, wie häufig in anderen Verfahren propagiert, als „Beziehungshilfe“ oder „Intervention“, sondern sie ist unabdingbar notwendig. Wenn Rogers annimmt, dass es „so viele Wirklichkeiten wie Menschen gibt“, braucht es notwendigerweise ein immer wieder neues Bemühen darum, den KlientInnen in ihrem Bezugsrahmen zu begegnen und sich dort einfühlend aufzuhalten. Wer das eine Weile aufrichtig praktiziert, verliert schnell das Gefühl, empathisch zu sein wäre doch eine einfache Sache.

Echtheit heisst nicht: Ich sage einfach alles, was ich fühle oder denke! Es heisst: Ich mache weder mir selber noch der anderen Person etwas vor. Ich bin in der Lage (weil ich das gelernt und geübt habe), mein inneres Erleben in Bezug auf mein Gegenüber und unsere gemeinsame Situation wahrzunehmen und dafür gegebenenfalls auch einen passenden Ausdruck zu finden. Ich traue mich das, und ich mute das den KlientInnen auch zu.

Wenn wir KlientInnen so begegnen und sie das auch wahrnehmen können, sind die Bedingungen günstig für ihren eigenen Wachstumsprozess und dafür, dass sie diese Haltungen mit der Zeit für ihren inneren Umgang mit sich selber nutzen können. Das heisst: Sie können vielleicht aufhören, sich innerlich ständig selber zu bewerten, sich kritisch zu begegnen, auf sich und andere...

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