AM ANFANG – EIN ENDE
Paartherapien fangen an, wenn irgend etwas zu Ende geht oder zu Ende gegangen ist: Die Liebe ist zu Ende, der Spaß hat aufgehört oder man ist einfach mit seinem Latein am Ende. Paare kommen an irgendein Ende von irgend etwas, was der Anfang von etwas anderem sein kann, vielleicht etwas Neuem, vielleicht aber auch etwas Altem, aber inzwischen Verlorenem. Das Ende verbindet sich mit dem suchenden Blick, dem Blick nach vorn in das unbekannt Neue oder dem Blick zurück an den Anfang, als alles oder zumindest manches noch anders war. Paare beziehen sich also in dieser Situation des Endes auf etwas, was gar nicht da ist: auf Abwesendes. Das ist aber gar nicht so einfach bzw. geradezu unmöglich, denn wir brauchen, um uns auf Abwesendes zu beziehen, irgend etwas Anwesendes, das uns auf das Abwesende hinweist. Insofern ist das anwesende Ende der Hinweis auf einen abwesenden Anfang, sei dieser nun neu oder alt, er ist in jedem Fall nicht (mehr) da. Es steht also die Frage: wo? Die Antwort – soviel scheint schon klar – ist zumindest: anderswo! Das zu wissen ist nicht wenig. Nur dadurch kann etwas beginnen – wieder ein Anfang –, was für viele Paare und auch in vielen Paartherapien das Wichtigste nach dem Ende ist: das Suchen. Suchen ist nur möglich für jemanden, der den Unterschied kennt zwischen dem, was ist, was er sieht, und dem, was er nicht sieht, weil es beispielsweise noch nicht oder nicht mehr ist. Das Suchen kann erschwert, das Finden unmöglich sein, weil das, was man sucht bzw. zu finden hofft, nicht mehr existiert. Manchmal kann es aber auch sein, daß etwas anderes die Sicht verstellt, man das Gesuchte also nicht sehen kann und es deshalb auch nicht finden wird. Dann kann es gut sein, daß das die Sicht Verstellende nicht mehr da ist. Wenn es zu Ende ist, wird der Blick wieder frei auf das Gesuchte, und es kann vielleicht wieder ein Anfang gefunden werden. Ist dieser schließlich gefunden, kann es dem Finder völlig egal sein – und das ist es ihm auch meist –, wo er das Gesuchte gefunden hat, denn er ist ganz eingenommen von dem, was er gesucht und nun endlich gefunden hat.
In dem amerikanischen Spielfilm Don Juan de Marco1 werden diese Prozesse des suchenden und hoffentlich findenden Blickes von einem Ende auf einen Anfang poetisch-meisterlich und zugleich prosaisch-alltäglich dargestellt. Wahrscheinlich ist es ohnehin diese Mixtur, die den Film zu der wichtigsten Kunstform für Paare und deren Liebesglück und Liebesleid werden ließ, zumindest zur wichtigsten Quelle, aus der man noch Anregungen und Anleitungen für sein Liebesleben beziehen kann und bezieht. Gerade deshalb ist auch der Film Don Juan de Marco ein sowohl für Psychiater als auch für Paartherapeuten interessanter Lehrfilm. Aber natürlich auch ein für Paare und sogar für paartherapeutische Zwecke nutzbarer Film. Er erzählt unter anderem die Geschichte des Psychiaters Jan Mickler, der zehn Tage vor seiner Pensionierung den Fall eines jungen Mannes übertragen bekommt, der eine Zorromaske und ein schwarzes Cape trägt und in Latinodialekt behauptet, Don Juan de Marco und der größte Liebhaber der Welt zu sein.
Mickler ist fasziniert von Don Juans Überzeugungskraft und dessen wahnhafter Leidenschaft für die Liebe und die Frauen. Er läßt sich von seinem letzten Patienten anstecken, und es entstehen neue, fast schon vergessene, d.h. für verloren gehaltene Möglichkeiten. Eine davon ist der folgende Dialog zwischen Jan Mickler und seiner Frau. Um sich die Szene, besonders die Brisanz der dabei verwendeten Flug-Metaphern, voll und ganz erschließen zu können, muß man den Film eigentlich sehen. Hier kann daher nur mit ein paar szenischen Hinweisen nachgeholfen werden, um die Imaginationen des Lesers zu unterstützen. Jan Mickler wird von Marlon Brando dargestellt, und zwar in der Phase seines Lebens, in der er seine schauspielerischen Leistungen noch durch sein massives Übergewicht eindrucksvoll ergänzt. Seine Frau wird von Faye Dunaway gespielt, die gerade ihre Gartenarbeit unterbrochen hat und mit der Gartenschere in der Hand gegenüber ihrem Mann auf einem der Gartenstühle Platz nimmt, um kurz zu verschnaufen.
Faye Dunaway: Du gehst Montag in den Ruhestand. Was sollen wir dann machen?
Marlon Brando: Wir werden richtig abheben, das kann ich Dir flüstern.
Faye Dunaway: Ich muß Dir jetzt mal was sagen: Mir gefällt es hier, mir gefällt mein Garten.
Marlon Brando: Wir sollten die Luft erobern wie zwei Adler!
Faye Dunaway: (entsetzt und ungläubig, aber auch mit einer Spur von Mitleid) Daß ich in dieses Bild passe, glaube ich nicht.
Marlon Brando: Oh, was ist auf einmal nur los mit Dir? Was redest Du da?
Faye Dunaway: Ich weiß es auch nicht.
Marlon Brando: Ich will endlich herausfinden, wer Du bist.
Faye Dunaway: Du weißt doch genau, wer ich bin. Wer macht Dir schon seit 32 Jahren den Kaffee?
Marlon Brando: Paß auf! Das mit den schmutzigen Kaffeetassen brauchst Du mir nicht zu erzählen. Ich kenne die Fakten alle. Aber ich will jetzt endlich alles von Dir wissen.
Faye Dunaway: (wird ernst) Was möchtest Du wissen?
Marlon Brando: Ich möchte gerne wissen, was für Hoffnungen und was für Träume Du hattest, ehe sie uns unterwegs verlorengingen, weil ich mit den Gedanken nur noch bei mir selbst war.
Faye Dunaway: (lacht sich ihre Tränen weg)
Marlon Brando: Was ist so witzig?
Faye Dunaway: (weint) Ich dachte schon, Du fragst es nie.
Hier fragt einer nach dem Anfang, nach dem Verlorenen – vielleicht noch rechtzeitig vor dem Ende, vielleicht kann er aber auch erst nach dem Ende fragen. Und das ist einer, der Glück hat, denn er fragt jemanden, der nur darauf gewartet hat, gefragt zu werden.
Aber Glück gehört zum Finden dazu. Man kann sich ja bekanntlich nicht einfach entscheiden, zu finden. Man kann sich lediglich entscheiden, zu suchen. Aber wenn man das nicht tut – zu suchen, zu fragen –, wird man auch nicht finden. Das suchende Fragen ist die Bedingung, die herzustellen ist, daß man finden kann, aber nicht finden muß. Es kann auch sein, daß sich gar nichts einstellt. Das Suchen bleibt also riskant.
Mit dieser Bereitstellung von Bedingungen des Findens ohne Erfolgsgarantie beschäftigen sich Paartherapeuten zusammen mit den Paaren, die sie aufsuchen. In Paartherapien werden dazu eine Menge Fragen gestellt, und es stellen sich eine Menge Fragen zu den Phänomenen Paare, Paarbeziehung und Paartherapie.
Was ist eigentlich ein Paar oder eine Paarbeziehung? Wie kommen Paare zusammen? Wann und warum beginnen Paarbeziehungen und werden wie und wodurch aufrechterhalten oder auch wieder aufgelöst? Wie kommen Entwicklungen zustande, die nicht zu selten (vorläufig) in Haß, Verzweiflung und Elend enden? In welchen Zuständen befinden sich Paarbeziehungen, wenn sie sich dem Abenteuer einer Paartherapie bzw. einem Paartherapeuten aussetzen? Womit müssen also Paartherapeuten rechnen? Was passiert dann in Paartherapien und mit welchen Ergebnissen? Was sind die besonderen Herausforderungen und Aufgaben von Paartherapie? Wie hängt das, was Paartherapeuten tun, mit den Antworten zusammen, die Sie sich selbst auf all diese Fragen geben?
Diese Fragen sollen in diesem Buch mit Hilfe und unter Begleitung der Konzepte der modernen System- und Kommunikationstheorie gestellt und beantwortet werden, um das zu begründen, was Paartherapie sein kann. Die Antworten, die gefunden werden und in die paartherapeutische Praxis einfließen, begründen dann eine systemische Paartherapie. Dies erscheint um so notwendiger, als Paartherapie vielleicht zu den schwierigsten Therapieformen überhaupt gehört. Vielleicht auch deshalb, weil zwar schätzungsweise 80% aller Therapeuten in ihren Praxen Paartherapien durchführen oder zumindest mit Paaren reden, aber kaum einer dieser Therapeuten in einer entsprechenden paartherapeutischen Ausbildung eine paartherapeutische Kompetenz erworben hat. Die meisten praktizieren Paartherapie ohne eine entsprechende Ausbildung und ohne entsprechende Supervision durch jemanden, der etwas davon versteht. Das bedeutet nicht, daß auch diese Therapeuten keine effektiven Paartherapien mit ihren Klientenpaaren durchführen können, von denen die Paare ihren Nutzen haben. Es genügt ja eigentlich, wenn Paartherapeuten wissen, was sie tun sollen.
Sich in Paartherapie zu begeben, hat also nicht selten etwas von einem Glücksspiel. Man kann auch Glück haben: Denn natürlich kann es einem passieren, an einen Paartherapeuten zu geraten, von dem man profitieren kann. Um so notwendiger erscheint es aber angesichts des Bedarfs, der Nachfrage und den Angeboten an Paartherapie, diese auf eine konzeptuell und methodisch nachvollziehbare Basis zu stellen und damit Paartherapie zu einer lehr- und lernbaren professionellen Fertigkeit zu machen. In diesem Buch soll daher erklärt werden, warum etwas Bestimmtes getan wird und etwas anderes gerade nicht. Dadurch kann, indem therapeutisches Handeln verantwortet wird, verantwortlich gehandelt werden. Man muß dem nicht zustimmen, aber dann hat man wiederum die Verantwortung, auch dies zu begründen. Insofern dienen die gestellten Fragen auch der Entwicklung und Vermittlung einer solchen konzeptuell und methodisch fundierten Paartherapie, hier: einer systemischen Paartherapie.
Dazu werden in diesem Buch sowohl neuere...