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E-Book

Mit älteren Menschen kommunizieren

Ein Praxisleitfaden für Gesundheitseinrichtungen

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl125 Seiten
ISBN9783170330085
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Die Zahl älterer Patienten nimmt aufgrund der demografischen Entwicklung stetig zu. In diesem Zusammenhang spielt die Kommunikation mit älteren Erwachsenen - auch im Gesundheitsbereich - eine immer größere Rolle. Das Ziel des Buches ist es, im professionellen Handeln die Fähigkeiten älterer Menschen zu berücksichtigen und eine evidenzbasierte positive Kommunikation zwischen ihnen und Gesundheitsprofessionellen zu verbessern. Fallbeispiele und Empfehlungen bieten einen praxisnahen Leitfaden für den Arbeitsalltag.

Dr. Rüdiger Thiesemann arbeitet seit 1983 mit hochaltrigen Menschen mit und ohne Demenz. Er war 2008 bis 2017 Chefarzt für Innere Medizin /Geriatrie in Remscheid, Bremerhaven und Cuxhaven, ist Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (2010-2018). Juristisch fungiert er als Gerichts-Sachverständiger für Medizin und Pflege. Er ist Leitlinienautor für Multimorbidität, forscht in Witten und Hamburg, wo er als Internist und Geriater in der Hausarzt Praxis Hamburg-Heimfeld tätig ist. Mit Beiträgen von: James Appleby, Feyza Evrin, Helmut Frohnhofen, Manfred Gogol, Judy Lieu, Bernd Meyer und Rüdiger Thiesemann.

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Leseprobe

 

1          Bedeutung von Sprache in medizinischen Aufklärungsgesprächen


Bernd Meyer und Rüdiger Thiesemann


 

Das vorliegende Buch möchte zu einer Verbesserung der Kommunikation mit älteren Patienten beitragen. Interventionen zur Kommunikationskultur weisen folgende Ansatzpunkte auf (Schulz von Thun 2016):

»Wer zwischenmenschliche Kommunikation verbessern will, kann an drei verschiedenen Stellen ansetzen: 1.Ansatz am Individuum, […], 2. Ansatz an der Art des Miteinanders […], 3. Ansatz an den institutionellen/gesellschaftlichen Bedingungen« (ebenda, S. 21 ff).

Zu diesem Zweck sollen in diesem Kapitel neue sprachwissenschaftliche, juristische, medizinische Gegebenheiten zum medizinischen Aufklärungsgespräch im Überblick dargestellt werden.

Aufklärungsgespräche sind ein zentraler und mit weitreichenden medizinischen und juristischen Konsequenzen verbundener Gesprächstyp. Im Jahre 2014 wurden in Deutschland 19,1 Millionen Patientinnen und Patienten vollstationär im Krankenhaus behandelt (Statistisches Bundesamt 2015b). Davon wurden bis zu 16 201 412 Betroffene1,2 einer Operation3 unterzogen (Statistisches Bundesamt 2015a), die meist4 eines medizinischen Aufklärungsgespräches bedurfte. Diese Gespräche finden – wenn überhaupt – unter einem hohen Zeitdruck statt und werden auch durch eine zunehmende soziale und ethnische Diversität sowie die Komplexität medizinischer Verfahren erschwert.

1.1       Grundlagen des ärztlichen Gespräches


Aufklärungsgespräche werden mit denjenigen Menschen geführt, die sich in ärztliche Behandlung begeben. Die betroffene Person soll im Zentrum des Geschehens und der Kommunikation stehen. Diese juristische Anforderung entspricht auch den Überlegungen zu einer patientenzentrierten Kommunikation im ärztlichen Bereich, die in ärztlichen psychotherapeutischen Settings (Balint und Hügel 2010; Rogers 1942; Rogers 1972; Balint 1957) seit der Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt wurden. Mit der Diversifizierung der Psychotherapie haben auch andere als psychoanalytische Methoden (Hallberg et al. 2015) ihren Einzug in die Gesprächsführung mit Patienten gehalten (z. B. verhaltenstherapeutische Interventionen in der Schmerztherapie und Systemische Beratung in der Psychiatrie). In der Allgemeinmedizin sind systemische Konzepte jedoch » nur in Ansätzen beobachtbar« (Schlippe und Schweitzer 2007), ihre Integration (…) in die »Alltagsmedizin« steht (…) noch am Anfang« (ebenda S. 246). Dieses gilt umso mehr auch in der Altersmedizin, da die medizinische Versorgung von Senioren sowohl gemessen an der Anzahl von universitären Lehrstühlen als auch an der Zahl spezialisierter Praxen für Geriatrie im Vergleich zu anderen medizinischen Disziplinen ein Schattendasein führt.

Das Ziel des medizinischen Aufklärungsgespräches im Allgemeinen ist » dass Patienten die Behandlung und ihre möglichen Alternativen verstehen« (Rixen et al. 2015) und auf eine rechtlich wirksame Weise in die Behandlung einwilligen bzw. eine Entscheidung über ihre Einwilligung zur Durchführung einer medizinischen Maßnahme treffen. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht kann unter »Verstehen« immer eine Befähigung zum Handeln verstanden werden ((Meyer 2004) S. 4).

1.2       Verstehen als Teil einer sozialen Beziehung


Dieses Zum-Befähigen-Verstehen älterer Menschen kann auch als Funktion einer sozialen Beziehung und sozialer Konstruktion verstanden werden (Kricheldorff et al. 2015). Auf das medizinische Aufklärungsgespräch bezogen, ist Verstehen ein »Vorgang, bei dem ein Hörer anhand bestimmter Indikatoren die zu verstehende Äußerung des Sprechers als Teil einer Gesamthandlung rekonstruiert und dadurch zu einer adäquaten Anschlusshandlung fähig wird« (Rehbein 1977, zit. nach Meyer 2004). Wenn Patienten diese »Indikatoren« bei der »Person gegenüber« nicht mehr wahrnehmen können (sei es aufgrund von Sehstörungen oder weil lediglich Aufklärungsbögen ohne Gespräch verwendet werden) dann kann die Gesamthandlung der Aufklärung nicht mehr rekonstruiert werden und die Anschlusshandlung nicht mehr adäquat informiert erfolgen. Im Klinikalltag aber auch in Pflegeeinrichtungen ist unter »Anschlusshandlung« die vertrauensvolle und voll informierte Entscheidung über die Einwilligung gemeint, die durch die Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen rechtlich wirksam dokumentiert wird.

Um dieses Ziel zu erreichen, werden »Gesprächstechniken« im Studium der Humanmedizin und der Facharztweiterbildung stärker als früher und mit anderen Methoden als noch vor 20 Jahren vermittelt. Medizin-Studierende haben im 21.Jahrhundert die Möglichkeit, die Kommunikation mit Patientinnen und Patienten im »problemorientierten Lernen« (POL) oder im Rollenspiel zu vertiefen (Helmich und Richter 2003) oder visuelle Medien hierzu als Lehrmittel zu benutzen (Richter 2001). Facharztkandidaten/innen können an jeder Ärztekammer-Akademie Kurse zur »Ärztlichen Gesprächsführung« belegen; für Psychiater, Schmerztherapeuten, Hausärzte oder Ärzte/innen in der Psychosomatischen Grundversorgung« sind diese Kurse mittlerweile Pflicht.

1.3       Alltagsbeobachtungen in Kliniken


Trotz der gesteigerten Bemühungen, Kommunikation als wichtigen Bestandteil ärztlicher Handlungskompetenz in den Ausbildungsgängen zu verankern, berichten Rixen und Mitarbeiter (Rixen et al. 2015) unter Verweis auf (Engel et al. 2009): »Viele [Patienten5] wissen weder, welche Maßnahmen durchgeführt wurden, noch wie sie sich in Zukunft verhalten sollen«.

Die zunehmende »Ökonomisierung, Bürokratisierung und Schematisierung der Medizin [droht] die zuwendende Begegnung von Arzt und Patient in den Hintergrund zu drängen, [daher] ist es erforderlich die Kommunikationskompetenz von Ärzten über die Aus-, Weiter-, und Fortbildung als Schlüsselkompetenz zu fördern« (Rixen et al. 2015).

Es gibt also einen Verbesserungsbedarf innerhalb der Medizin im Prozess der Vermittlung von Informationen, des Verständlich-Machens und der Unterstützung des patientenseitigen Verstehens. Wenn man dieses verbessern will, lohnt sich ein Rückgriff auf die Grundlagen wie sie in der Psychologie (Schulz von Thun 2016) und den Sprach-, Kultur- und Kommunikationswissenschaften (Jäger et al. 2016) für zwischenmenschliche Gespräche im allgemeinen beschrieben werden. Dieses umfasst spezifische Erfordernisse auf der individuellen Ebene, der Beziehungsebene von Patienten mit den Aufklärenden und den Systembedingungen.

Im Klinikalltag stehen jedoch häufig institutionelle Abläufen/Notwendigkeiten im Vordergrund. Hierzu zählen auch juristische Vorgaben, die unter Zeitmangel erfüllt werden müssen.

1.4       Die Tragweite des rechtlichen Rahmens eines Aufklärungsgespräches


Ein wesentliches juristisches Merkmal ist die »Verständlichkeit der Aufklärung«.

Konkret bedeutet dies, dass der Arzt verpflichtet ist, den Patienten » vor der Behandlung umfassend und ordnungsgemäß aufzuklären. Sinn und Zweck der Aufklärung ist es, dem Patienten die wesentlichen Umstände, Risiken und Folgen des erforderlichen Eingriffs zu verdeutlichen und ihm somit die Tragweite seiner Entscheidung für die Behandlung vor Augen zu führen. Da der Patient nur dann wirksam in die Behandlung einwilligen kann, wenn er zuvor ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist, hat die Aufklärung im Einzelfall so zu erfolgen, dass der Patient sie auch verstehen kann. Der Arzt hat das Aufklärungsgespräch daher so zu führen und inhaltlich zu gestalten, wie es der individuelle Intellekt des Patienten erfordert und dabei Besonderheiten des jeweiligen Patienten (soziales Umfeld, Beruf, Alter, Mobilität, Wohnort etc.) zu berücksichtigen. Dieser seit jeher in der Rechtsprechung und Rechtsdogmatik entwickelte Grundsatz wurde im Zuge der Kodifikation des Patientenrechtegesetzes in § 630 e) Abs. 2 Satz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) übernommen. Fehlen dem Patienten die Sprachkenntnisse und ist eine Kommunikation zwischen Arzt und Patient daher nicht möglich, kann naturgemäß auch keine ordnungsgemäße Aufklärung erfolgen mit der Konsequenz,...

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