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Willensfreiheit und Determinismus

Keil, Geert - Logik und Ethik - 19524 - 2., überarbeitete Auflage

AutorGeert Keil
VerlagReclam Verlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheReclams Universal-Bibliothek 
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783159613659
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Schließen Freiheit und Determinismus einander aus - oder tun sie das nicht? Viele Philosophen meinen, dass es auch in einer determinierten Welt einen freien Willen geben kann. Ob sie Recht haben, hängt u.?a. davon ab, was mit 'freiem Willen' überhaupt gemeint ist.Geert Keil gibt einen Überblick über den Stand der Debatte, führt in die einschlägige Begrifflichkeit ein, diskutiert die wichtigsten Argumente und gibt prägnante Antworten auf die aufgeworfenen Fragen.Der Band wurde für diese zweite Auflage vollständig überarbeitet. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Geert Keil, geb. 1963, ist seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Philosophische Anthropologie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Leseprobe

[10]Die Freiheitsdebatte: Begriffe, Probleme, Positionen


Es ist in der Philosophie der Gegenwart üblich geworden, das Problem von Willensfreiheit und Determinismus in zwei Teilprobleme aufzuspalten. Das traditionelle Problem lässt sich durch die Entweder-oder-Frage »Freiheit oder Determinismus?« ausdrücken. Diese Frage direkt beantworten heißt, entweder die Existenz der Willensfreiheit zu verteidigen und den Determinismus zu bestreiten oder umgekehrt. Dagegen betrifft das Vereinbarkeitsproblem die Frage, ob Freiheit und Determiniertheit einander ausschließen oder nicht. Dass sie es tun, ist eine stillschweigende Voraussetzung des traditionellen Freiheitsproblems. Wenn diese Voraussetzung irrig sein sollte, löst sich das traditionelle Problem auf, denn dann kann der menschliche Wille zugleich frei und determiniert sein. Die Lehre der Vereinbarkeit nennt man Kompatibilismus. Die Gegenposition, der Inkompatibilismus, tritt in zwei Varianten auf: Die harten Deterministen halten den Determinismus für wahr und bestreiten die Existenz der Willensfreiheit. Die Libertarianer oder Libertarier sehen es spiegelbildlich: Der Wille ist frei, der Determinismus ist falsch.

Diese drei Standardpositionen lassen sich in folgendes Schema eintragen:

 

 

[11]Im Lager des Kompatibilismus gibt es noch eine wichtige Differenzierung, die in diesem Schema nicht zum Ausdruck kommt: Klassische Kompatibilisten halten den Determinismus für wahr oder meinen sogar, dass Freiheit die Wahrheit des Determinismus erfordert (David Hume, Moritz Schlick, R. E. Hobart). Diese Position kann man auch als deterministischen Kompatibilismus bezeichnen. Andere Kompatibilisten dagegen bleiben bezüglich des Determinismus indifferent, da sie die Frage nach dessen Wahrheit schlicht für irrelevant halten: Wohlverstandene Freiheit sei unabhängig davon, ob unsere Welt deterministisch ist oder nicht. Diese Position, prominent vertreten durch Peter Strawson, kann man agnostischen oder Zwei-Wege-Kompatibilismus nennen.

Eine Reihe von Minderheitenpositionen werden im Schema nicht erfasst:

  • Nach der in jüngerer Zeit vertretenen freiheitsskeptischen Auffassung existiert Willensfreiheit weder in einer deterministischen noch in einer indeterministischen Welt. Diese Auffassung geht noch über den harten Determinismus hinaus: Für die Willensfreiheit wäre auch dann nichts gewonnen, wenn der Determinismus falsch wäre. Man nennt diese Position auch harten Inkompatibilismus.

  • [12]Der epistemische Indeterminismus argumentiert, dass Freiheit die Nichtvoraussagbarkeit der eigenen Entscheidungen aus der Perspektive der ersten Person erfordert, nicht hingegen deren objektive Indeterminiertheit.

  • Der Semikompatibilismus ist eine Position, die durch das eminente Interesse an Fragen der moralischen Zurechnung und strafrechtlichen Verantwortung motiviert ist. Semikompatibilisten behaupten nur die Vereinbarkeit von Determinismus und moralischer Verantwortlichkeit, nicht jedoch die von Determinismus und Willensfreiheit.

Das Schema weist neben seiner Unvollständigkeit noch eine andere Schwäche auf: Es erweckt den Eindruck, die Kompatibilisten hielten genau dieselben Phänomene für vereinbar, die die Inkompatibilisten für unvereinbar hielten. Dieser Eindruck ist trügerisch, denn beide Lager legen typischerweise nicht denselben Freiheitsbegriff zugrunde. Inkompatibilisten operieren mit einem stärkeren Freiheitsbegriff als Kompatibilisten. Im Zentrum der inkompatibilistisch verstandenen Willensfreiheit steht das Vermögen, sich unter gegebenen Bedingungen so oder anders zu entscheiden. Demgegenüber sprechen Kompatibilisten schon von Freiheit, wenn eine Entscheidung ohne äußeren Zwang zustande kommt. Die Art von Freiheit, die Kompatibilisten für mit dem Determinismus vereinbar halten, ist nicht das libertarische So-oder-anders-Können unter gegebenen Umständen. Die Vereinbarkeits- und die Unvereinbarkeitsbehauptung beider Lager gelten also nicht für dieselben Phänomene.

Dieser Umstand spricht dafür, vom traditionellen [13]Problem und dem Vereinbarkeitsproblem noch eine dritte Frage zu unterscheiden: Was zwischen Kompatibilisten und Inkompatibilisten vor allem umstritten ist, ist nicht die Vereinbarkeit als solche, sondern zunächst die Frage, welche Art von Freiheit auf ihre Vereinbarkeit mit dem Determinismus zu prüfen ist. Die »starke«, libertarische Freiheit passt auch nach Auffassung der meisten Kompatibilisten nicht in eine deterministische Welt. Dies ist aber nach ihrer Auffassung kein Verlust, da diese Art von Freiheit illusionär und nicht einmal erstrebenswert sei.

Noch seltener wird bemerkt, dass es auch im Verständnis der Determinismusannahme gravierende Unterschiede gibt. So vertreten als »klassische Kompatibilisten« bezeichnete Philosophen wie John Locke, David Hume und John Stuart Mill einen psychologischen Determinismus, der schwächer ist als der moderne physikalische Determinismus, welcher eine alternativlose Festlegung des Weltlaufs durch Naturgesetze behauptet. Es liegt auf der Hand, dass die Vereinbarkeitsthese umso plausibler ist, je schwächer die zugrunde gelegten Begriffe der Freiheit und des Determiniertseins sind. Die übliche Gliederung der Debatte in kompatibilistische und inkompatibilistische Theorien ist also sachlich problematisch. Gleichwohl halte ich in dieser Einführung aus Gründen der Tradition und der Darstellungsökonomie an ihr fest.

Die traditionelle Frage »Freiheit oder Determinismus?« ist in der Philosophie der Gegenwart sehr unpopulär. Die Freiheitsdebatte kreist, wie bereits erwähnt, schon seit einigen Jahrzehnten um das Vereinbarkeitsproblem, welches das traditionelle Problem aus der fachphilosophischen Diskussion weitgehend verdrängt hat. Sich auf die Frage zu [14]beschränken, ob der Determinismus mit der Freiheit vereinbar ist oder nicht, und offenzulassen, ob der Determinismus material wahr ist, erscheint vielen Philosophen attraktiv. Agnostische Kompatibilisten argumentieren, dass wir mit einem Freiheitsbegriff, der mit dem Determinismus vereinbar ist, auf der sicheren Seite seien. Selbst wenn der Determinismus sich als wahr herausstellen sollte – und darüber habe nicht die Philosophie zu entscheiden, sondern die Physik –, müssten wir unsere Auffassungen über die Freiheit nicht ändern. Willensfreiheit und insbesondere moralische Verantwortlichkeit sollten, mit einem Wort von John Martin Fischer, nicht an einem seidenen Faden hängen, nämlich an der möglichen wissenschaftlichen Entdeckung, dass der Determinismus wahr ist.

Diese Argumentation ist jedoch in mehrerlei Hinsicht verfehlt. Zum einen ist sehr zweifelhaft, ob die Frage nach der Wahrheit des Determinismus eine physikalische Frage ist. Es dürfte sich um eine metaphysische Frage handeln, die sich der experimentellen Überprüfung entzieht, auch wenn ihre Behandlung physikalisches Wissen erfordert. Metaphysische Fragen lassen sich nicht empirisch entscheiden, aber einige von ihnen könnten sich unter Zuhilfenahme empirischen Wissens vernünftig entscheiden lassen – das ist ein subtiler Unterschied, der leicht übersehen wird.

Die zweite Fehlannahme der besagten kompatibilistischen Argumentation ist, dass wir unsere Freiheit vor Widerlegung geschützt haben, wenn wir sie nicht zu anspruchsvoll verstehen. Der Faden, an dem die Freiheit hängt, mag stärker sein als gemeinhin angenommen, aber wir können seine Stärke nicht nach Belieben festlegen. [15]Welche Art von Freiheit wir tatsächlich besitzen, hängt davon ab, wie wir und die Welt beschaffen sind, nicht davon, mit welcher Doktrin die Willensfreiheit vereinbar ist. Und überhaupt: Sollte eine Diskussion des Vereinbarkeitsproblems wirklich darauf abstellen, auf der sicheren Seite zu bleiben? Sollte die Philosophie nicht eher im Verbund mit den anderen Wissenschaften herauszubekommen versuchen, wie es um die Willensfreiheit wirklich bestellt ist?

Weiterhin ist der Platz auf der sicheren Seite außerordentlich knapp. Als größtes Problem des Libertarismus wird in der Regel der Zufallseinwand angesehen, dem zufolge in einer indeterministischen Welt der Ausgang einer Entscheidung bloß vom Zufall abhängt, also nicht der Kontrolle des Akteurs unterliegt (s. S. 104–112). Nun befindet sich aber die am häufigsten vertretene kompatibilistische Position, der agnostische oder Zweifach-Kompatibilismus, angesichts des Zufallsproblems gerade nicht auf der sicheren Seite, sondern mit dem Libertarismus im selben Boot. Der Zweifach-Kompatibilist muss nicht nur die Vereinbarkeit der Freiheit mit dem Determinismus erweisen, sondern er muss wie der Libertarier erklären, wie Entscheidungen aus Gründen geschehen und dem Akteur zurechenbar sein können, wenn sie nicht deterministisch vom Ausgang seiner Überlegung abhängen.

Es gibt in der neueren philosophischen Freiheitsdebatte bemerkenswert wenig Diskussion über den genauen Sinn der Determinismusthese und noch weniger über die Frage ihrer Wahrheit. Viele Autoren, beispielsweise Peter Bieri, begnügen sich mit einem vagen Vorverständnis von »naturgesetzlicher Determination« und »kausaler Bedingtheit« und halten die »Details« für nicht weiter von Belang. [16]Diese Nonchalance wird verständlich, wenn man in Rechnung stellt, dass die meisten Teilnehmer der Debatte agnostische Kompatibilisten sind. Eine Präzisierung der Determinismusthese scheint in der Tat entbehrlich, wenn man die Frage...

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