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E-Book

Das Ich und die Dämonien

Vollständige Ausgabe

AutorKarl Ludwig Schleich
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl138 Seiten
ISBN9783849635367
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
In diesem Buch hat der Autor versucht, die in seinen früheren Werken (Von der Seele und Vom Schaltwerk der Gedanken) angewandte Methode der physiologischen Analyse geistiger Funktionen bis zu ihren äußersten Konsequenzen durchzuführen.

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Leseprobe

Die Geburt des Weltallsnerven (Sympathikus)


 


»Also, Herr! Nach diesem Flehen
Segne mich zu deinem Kinde,
Oder eines laß erstehen,
Das auch mich mit dir verbinde!«

 

So heißt es im Schlußvers des Pariagebetes bei Goethe, worauf eine unbekannte Stimme, gleichsam ein indischer mystischer Priestervater, die Legende von der Rajagattin erzählt, die schwertgerichtet wegen einer Gedankensünde ihre Reinheit und ihr Leben einbüßt. Das abgeschlagene Haupt der Armen soll durch den Sohn schnell dem Leichnam unter Schwertsegen wieder zugefügt werden, damit das Leben der Schuldlosen wiederkehrt. Aber in der Hast seines Rettungsversuches der teuren Mutter und im Anblick eines inzwischen gefallenen zweiten Opfers der Gerechtigkeit, einer wirklichen Verbrecherin, fügt er das Haupt seiner Mutter auf den falschen Leib. Und nun entsteht ein Riesendoppelwesen, eine Art dämonischen Überweibes, das halb Göttin, halb Paria, das Doppelseelentum alles Menschentums auf das gedankentiefste symbolisiert. In der Tat, bei jedem von uns ist Gott und Dämon, Lichtsehnsucht und Schattenfron, Auftrieb und Erdenschwere in der Brust verankert und geistert, wirkt und wandelt bei Nacht und Tag in ihren Labyrinthen. Das gilt nicht nur vom »Ich«, bei dem wir ja die Quelle dieser Verdopplung in Faust und Mephisto, Baldur und Loki, Achill und Thersites schon in der Doppelgestaltung des Gehirns und seiner gegensätzlichen Funktion entdeckt hatten, es gilt auch von dem, was man gemeinhin unsere menschliche Seele nennt. Obwohl dieser Begriff der Menschenseele, wie wir sehen werden, ein falscher ist, möge er zuvörderst einmal beibehalten werden, zumal er, wie jeder Irrtum, nicht nur in Romanen und Theaterstücken, in Lyrik und Epos fast durchgehends weit verbreitet ist. Man würde überall fast, wo man von Seele spricht, im gewöhnlichen Sinne weit besser Gemüt, Herz, inneres Gefühl sagen können. Denn der vulgäre Ausdruck Seele trifft nicht den vollen Begriff dessen, was wir als eine Kombination von Verstand, Bewußtsein, Ich mit Grundstimmungen des Gemüts bezeichnen. Funktionell, nach unserer Methode der physiologischen Analyse der Gehirnbegebnisse, erhält beim »Seelischen« das Tastenspiel der Ganglienklaviatur etwas wie einen Pendeleinschlag, der also hier nicht im Forte oder Piano zum Ausdruck kommt, sondern dem rein geistigen Mechanismus eine Durchtränkung mit Gemütsmotiven, freudiger und wehmütiger Natur, zuteil werden läßt. Während wir ja wissen, daß alles Verstandesgemäße innerhalb der Elfenbeinschale des Schädels sich abspielt, tritt nun schon beim Vernunftgemäßen eine Verbindung mit dem All auf (»Eines laß entstehen, was auch mich mit dir, o Gott, verbinde!«), indem alles egoistische Denken des Vorderhirns mehr oder weniger getönt und rhythmisiert werden kann durch Rhythmus und Richtung, Willen und Ziel des Weltalls, eben dem Allgeist der Natur, dem weder Wunsch noch Abkehr irgendeines Lebewesens sich ganz entziehen kann. Die ständig wechselnde Bindung des Verstandes an die Vernunft, sowie die Schlinge, welche das Gemüt, die innere Stimme, schließlich das Gewissen, das Ethos in uns um die im rein egoistischen Denken überbildeten, geradezu geschwulstartig aufgeblähten Vorderhirnlappen in jedem Augenblick werfen kann und stets werfen sollte, wie kommen sie zustande? Wie können wir mit dem Herzen denken? – eine herrliche Begabung jedes Vollmenschen, von dem leider die Mehrzahl der armen Erdgewächse, die nur nach Nahrung und Besitz streben, freilich nur sehr kümmerlichen Gebrauch macht.

 

Wo sitzt aber dieses Herz? Denn das Pumpwerk in der Brust kann es doch nicht sein, obwohl offenbar sein Schlag oder Nichtschlag eng mit »seelischen« Phasen veralgamiert, verquickt ist. Es sitzt auch nicht in irgendwelcher Drüse, obwohl deren Säfte, wie wir sehen werden, einen enormen Einfluß auf Stimmungen und Strebungen unseres Ichs erhalten können. Vor allem aber sitzt es nicht im Gehirn, denn wir haben in diesem Kriege die aufeinander gehetzten Menschen im Namen eines Menschheitsdämons allzuviel ruchlose Experimentalpathologie der Hirnverletzung treiben gesehen, um zu wissen: an keiner Stelle des Gehirns oder des Rückenmarks ist ein Tempel des Gefühls, ein Krondach des Gemüts! Die Bindung also (Religion der »Seele«, von religere) des Verstandesgemäßen an das Gefühlsgemäße muß woanders gegeben sein, wenn wir nicht annehmen wollen, daß es, wie unser Weltallsleben, unsre Seele im wahren Sinn, die uns gebildet, geformt hat und in Steuerung erhält, gleichfalls metaphysischen Ursprungs ist. Nun, wir wollen es gleich sagen, es ist die Weltall-Marconi-Platte des Sympathikus und seiner Wurzel unter dem Zwerchfell im Sonnengeflecht hinter dem Magen und Pankreas (Bauchspeicheldrüse) um die Nebennieren herum, welche der Träger ist, der Beauftragte, der Geschäftsführer der kosmischen und zum Teil auch der irdischen, himmelgeborenen Mandate an ein menschlich Wesen. Die Griechen hatten also nicht so unrecht, wenn sie die Seele unter das Zwerchfell verlegten, obwohl sie dort in Wirklichkeit ebensowenig thront wie auf dem kleinen Türkensessel an der Basis des Gehirns, in der Zirbeldrüse, wo die Vorstellung der Inder sie eingemietet hatte. Aus welchen Gründen und mit welchem Rechte werden wir noch erfahren. Was ist nun eigentlich dieses Wundergebilde des Nervus sympathicus, von dem wir schon wissen, daß es seine Zwergenfinger überall hier im Leibe, auch um die Neurogliagespinste der Ganglienzellen, filigranartig eingekrallt hat (s. »Von der Seele« und »Vom Schaltwerk der Gedanken«)?

 

Um dies zu ergründen, müssen wir einen weiten biologischen Weg machen, an dessen Ende wir aber zu einer kostbaren Erkenntnis gelangen werden, welche unseren Überblick über alles Geist- und Gemütgeschehen erheblich vertiefen wird.

 

Der Kernbegriff, welcher das Lebendige von dem Unbelebten mit freilich nicht allzu scharfem Schnitte trennt, ist die Reizbarkeit. Heutzutage wissen wir, daß freilich auch der Kristall an dieser wie an anderen Lebensäußerungen des organisierten Eiweißes teilnimmt; die Reizbarkeit scheint also keine absolute Scheidung zwischen Belebtem und Unbelebtem zu bedingen. Der Kristall zeigt Heilungsvorgänge, Stoffwechsel, hat einen Nœud vital, eine Art Lebenszentrum, dessen Vernichtung das sogenannte Leben des Kristalls sofort abbricht. Für unsere Darstellung mag es genügen, für das organisierte Eiweiß als Hauptkriterium die Reizbarkeit und ein gewisses Maß von Wahlvermögen beizubehalten. Dieses Wahlvermögen, auf Erlebnisse (Reizungen) hin etwas zu tun oder zu lassen, ist nun der einfachsten belebten Zelle, z. B. einer Amöbe, schon zu eigen. Es unterscheidet sie zwingend von einem Apparat, einer maschinellen Einrichtung. Denn diese arbeitet automatisch, die Zelle aber individualisiert. Sie hat teil an der großen Künstlersehnsucht der Schöpfungsmacht, die bestrebt ist, durch immer neue Formen den Widerstand gegen ihr Vorwärtsdringen zur Höhe zu überwinden. Wenn ein Körnchen Seesand sich einer Amöbe, einem kleinen belebten Bröckelchen, entgegenstellt, so kann die Amöbe seine Einverleibung in ihren Körper (ihren Protoplasmaleib) versuchen, sie kann aber diesen Versuch auch unterlassen. Im Falle der Aufnahme in das Protoplasma, ein Vorgang, der dem Absuchen des mikroskopischen Sandblockes nach Nahrungsstäubchen, z. B. Bakterien-Nukleinen, sehr ähnlich sieht, wird derselbe nach einer individuell verschieden langen Zeit wieder ausgeschieden, d. h. durch phasische, kontraktile Stöße des Protoplasmas aus dem kleinen Molekularteig wieder entlassen. Hat dieser kleine Sandgast keine Nahrungsmittel bei sich, so macht die Amöbe entweder einen Umweg, wieder individualisierend um dieselbe, oder sie überkriecht ihn einfach und schleppt ihr gelatinöses Leibchen über den kleinen Berg kletternd hinweg. Hier ersetzt die allgemeine Zusammenziehbarkeit des protoplasmatischen Leibes die Muskeltätigkeit der Gehirnlebewesen, bei denen also die Hindurchschiebung des Fremdkörpers durch Muskelorganisation geleistet wird. Auch die Motivierung, die innere Fragestellung gleichsam, welche sich die Amöbe vorlegen muß, genau so, wie ein allgewaltiger Bankier auf der Börse: »Soll ich oder soll ich nicht!«, wird von dieser zusammenziehbaren Substanz des Zelleibes, eben Protoplasma genannt, geleistet. Hier handelt es sich aber schon um etwas mehr als um Muskelaktion, hier im Gebiet der Wahl steckt schon ein nervöses Problem: eine Reizbarkeit ohne Nerven. Die molekulare Substanz der Amöbe muß also eine Konstitution haben, welche sie ohne erkennbare nervöse Organe befähigt, Erwägungen anzustellen. Das ist, wenn wir nicht ein rein metaphysisches Vermögen annehmen wollen, nur denkbar, indem wir dieser merkwürdigen Organisation des Eiweißes ein Tastvermögen über sich hinaus in ihr Milieu und in den Kosmos zuerkennen. Sie wird gesteuert nicht durch bewußte Orientierungsorgane, sondern von den Rhythmen des Alls und den Radgetrieben der Umwelt. Sie wird also getragen von den letzten Wellen des Weltgeschehens, sie schwebt auf den Hüterfittichen des gesamten Daseins, sie ahnt ohne Organe, sie pulst und schwebt mit dem Herz der Welt. Sie hat ein Allgefühl, um so mehr, als sie eines Detailgefühls entraten muß. Sie ist ganz irgendein »Es«, aber kein »Ich«. Dieses »Es«, die gesamte Rotationsorgie ihrer gegebenen Rhythmen, determiniert noch völlig ihr Leben, sie ist eingespannt in den Rahmen des Kosmischen ganz und gar, mit Hülle, Protoplasma und Kern. Es scheint wie ein biologisches Grundgesetz, daß dieses Allgefühl keinem Lebewesen versagt ist, und daß es bis in die hochentwickelten Stufen seine allverkettende Macht behält, aber in demselben Maße, als es aus dem...

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