6. Kapitel
Internationale Schulleistungsvergleiche ( S. 279)
Petra Stanat und Oliver Lüdtke
1 Einführung
1.1 Zielsetzungen internationaler Schulleistungsvergleiche
Internationale Schulleistungsvergleiche dienen dazu, Akteuren im Bildungswesen Informationen über die Erträge schulischer Systeme zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich um Bestandsaufnahmen, die zunächst vor allem Benchmarking (Bestimmung von Leistungsmaßstäben) und System Monitoring (Systembeobachtung) Funktionen erfüllen sollen.
Internationale Schulleistungsvergleiche zeigen auf, welchen Leistungsstand Schüler einer bestimmten Altersgruppe oder Jahrgangsstufe in den untersuchten Bereichen international erreichen und wie weit die mittleren Leistungen der Schüler in den teilnehmenden Staaten von diesem Niveau abweichen. Neben dem durchschnittlichen Leistungsstand werden dabei zunehmend auch andere Aspekte der Qualität von Bildungssystemen in den Blick genommen.
So wird beispielsweise untersucht, inwieweit es in den beteiligten Staaten gelingt, die Leistungsdivergenzen zwischen Gruppen von Schülern zu mindern, etwa zwischen Kindern aus höheren und niedrigeren Sozialschichten oder zwischen Mädchen und Jungen (z. B. Baumert &, Schümer, 2001, Johnson, 1996, OECD, 2001, Stanat &, Kunter, 2001, Wagemaker, 1996).
Auf Grund der sehr unterschiedlichen Bedingungen des Lebens und Lernens, die in verschiedenen Staaten bestehen, ist mit dem Benchmarking-Aspekt internationaler Schulleistungsstudien eine ganze Reihe von methodischen Herausforderungen verbunden, die sich auf die Vergleichbarkeit der Messungen beziehen (Harkness, Van de Vijver &, Mohler, 2003, Postlethwaite, 1999, Van de Vijver &, Hambleton, 1996).
Dies betrifft nicht nur die Äquivalenz der Erhebungsinstrumente, sondern unter anderem auch die Definition des Untersu- chungsgegenstands und der zu untersuchenden Schülerpopulationen, die Durchführungsbedingungen sowie den Erfahrungshintergrund von Schülern in den teilnehmenden Staaten mit Leistungstests. Im Anschluss an einen kurzen historischen Überblick der wichtigsten Schulleistungsstudien, die bislang durchgeführt worden sind, werden im Folgenden einige der zentralen methodischen Herausforderungen dargestellt und beschrieben, wie in den Untersuchungen damit umgegangen wird.
Dabei soll als Beispiel vor allem der erste Zyklus der PISA-Studie (Programme for International Student Assessment) herangezogen werden, die seit dem Jahr 2000 von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) regelmäßig alle drei Jahre mit unterschiedlichen Schwerpunkten durchgeführt wird (Baumert, Artelt, Klieme &, Stanat, 2001, Baumert, Klieme et al., 2001, Baumert, Stanat &, Demmrich, 2001, OECD, 1999, 2001).
Aufbauend auf den Erfahrungen früherer Studien hat PISA im Bereich der internationalen Schulleistungsvergleiche ein vergleichsweise hohes methodisches Niveau erreicht (vgl. z. B. Szydlik, 2003). Dennoch bestehen weiterhin zahlreiche Herausforderungen, für die auch im Rahmen von PISA noch keine zufrieden stellenden Lösungen gefunden wurden. Im Anschluss an die Diskussion von zentralen theoretischen und methodischen Fragen folgt eine kurze Darstellung von einigen Befundmustern, die in internationalen Schulleistungsstudien identifiziert worden sind.
In der Vergangenheit stand im Rahmen von internationalen Schulleistungsvergleichen die Benchmarking-Funktion im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zunehmend rückt jedoch die Frage in den Vordergrund, wie die Unterschiede zwischen Staaten, die diese Studien identifizieren, zu erklären sind (z. B. Fend, 2002, Klieme &, Stanat, 2002, Wößmann, 2001).
Dies hängt unter anderem mit dem unbefriedigenden Umstand zusammen, dass Schulleistungsvergleiche zwar Problembereiche aufzeigen, aber nur sehr bedingt Hinweise darauf geben, wie Veränderungen in diesen Bereichen erzielt werden können (Baumert &, Köller, 1998).